The Ultrasound Knight

the ultrasound knight

Eines meiner großen Interessensgebiete ist der Einsatz des Point-of-Care Ultraschalls in der Neonatologie. Er dient der raschen und zielgerichteten Exploration von klinischen Fragestellungen in der täglichen Arbeitsroutine der Kinderintensivmedizin. Ich möchte diese Kategorie nutzen, um den Point-of-Care Ultrasound bekannter zu machen.

“Its time to start your training, to become an ultrasound knight”

The Ultrasound Knight

Doktor Sandmann unterstützt Health for Future

Die globale Klimaerwärmung ist die bedeutsamste Katastrophe unserer Zeit. Sie führt zu extremen Wetterveränderungen, von deren Folgen die gesamte Menschheit betroffen ist. Die stärkste Last trifft dabei die Ärmsten der Armen, die durch Dürren, Stürme, Überschwemmungen und Bürgerkriege ihren Lebensgrundlage verlieren und als Migranten um den Globus ziehen. Die Folgen unseres Lebensstils habe ich am Beispiel von Flugreisen und Konsumgütern auf meinem Blog diskutiert.

Was vielen jedoch nicht bewusst ist, der Klimawandel ist längst auch in Deutschland angekommen. Dies merkt man nicht nur an immer heißeren Sommertagen. Auch in der Medizin spielt diese beängstigende Entwicklung eine große Rolle. So sind bei uns besonders ältere Menschen und Kinder stark von den neuen Umweltbelastungen betroffen.

Leider hat die Politik noch immer nicht verstanden, dass hier ein drastisches Einlenken nötig ist, um schwerwiegende Folgen für uns alle zu minimieren.

Doktor Sandmann unterstützt daher die Bewegung Health for Future und solidarisiert sich mit den Zielen der Klimabewegung:

  • die „Behandlung“ der Klimakrise und ihrer Folgen für die Gesundheit eine zentrale Aufgabe des Gesundheitssektors wird,
  • die Ziele des Pariser Abkommens und der 1,5°C‑Begrenzung eingehalten werden,
  • Deutschland bis 2035 klimaneutral wird,
  • die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels bei sämtlichen Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt werden,
  • das Thema Klimawandel und Gesundheit in den Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe verpflichtend verankert wird.

Die Klimabewegung Fridays for Future hat es geschafft, den Klimawandel endlich ins Rampenlicht der Medien und Politik zu befördern. Die Medizin muss aufwachen und sich mit den Schüler und Studenten solidarisieren! Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass endlich wirkungsvolle Maßnahmen im Bezug auf den Klimaschutz umgesetzt werden.

Bildband Momentaufnahmen als German Doctor in Bangladesch

Jeder Mensch, der von einem humanitären Hilfsprojekt wieder in seine Heimat zurückkehrt bringt auch eine Fülle von Erlebnissen mit. Viele bleiben uns für immer im Gedächtnis, denn es sind diese Momente, die uns nachhaltig prägen. Noch stärker werden diese Momente, wenn man sie mit den Mitmenschen teilen kann.

Ich habe einen Bildband voller lustiger, trauriger, glücklicher, frustrierender und inspirierender Momentaufnahmen meines Aufenthaltes zusammengestellt. Es soll nun die Versuch unternommen werden, die Faszination der Menschen Bangladesch’s in diesen Aufnahmen einzufangen! Im Zweiten Abschnitt habe ich einige Berichte von der medizinischen Arbeit mit den Fotos kombiniert. Alle Einnahmen werden zu 100% an die German Doctors gespendet.

Bei Interesse meldet euch gern bei mir.

Fazit des Einsatzes mit den German Doctors

Dhaka – Eine Stadt im Wandel

Viel gibt es über diese Stadt im Herzen Bangladeschs zu berichten. Die Unterschiede zu einem Leben in Deutschland sind unvorstellbar. Da ist zum einen das riesige Müllproblem. Der Gestank ist omnipräsent und mit jedem Atemzug bahnen sich der Gestank von vergorenen Lebensmitteln, toten Tieren und Exkrementen den Weg in unsere Lungen. Der Verkehr verschmilzt zu einem ungeordneten riesigen Stau-Ungeheuer. Es gibt keine klaren Verkehrsregeln, die das Vorankommen bei uns so effektiv und sicher gestaltet. Überholen ist unter dauerhafter hupender Ankündigung jederzeit und von jeder Richtung möglich. Man wird an das einfache Gesetz des Stärkeren erinnert, wenn man mit seinem Minivan den großen LKWs und Bussen ausweichen muss, Rikschas und CNGs (größere motorisierte dreirädrige Fahrzeuge) aber gleichzeitig gegen uns zurückziehen müssen. Der Verkehr führt zu einem hohen Schadstoff- und Lärmlevel. Er fordert jährlich unzählige unnötige Unfall-  und Todesopfer. Die Fehlende Kanalisation verwandelt in der Regenzeit viele Straßen zu Flüssen. Das Wasser nimmt den Müll auf und trägt ihn in die Häuser der armen Bevölkerung.

Die Religion hat einen sehr hohen Stellenwert im täglichen Leben. Mit dem Sonnenaufgang (ca. vier Uhr) ruft der Muezzin zum ersten Gebet des Tages. Insgesamt beten Muslime fünf mal täglich. Die Familie ist das wichtigste Element der Gemeinschaft. Im täglichen Leben haben Freizeitgestaltung, Kultur und Sport eine untergeordnete Rolle. Es wird sehr oft den ganzen Tag über (teilweise in mehreren Jobs) gearbeitet. Dabei sind die Arbeitsherausforderungen nicht mit unserer komplexen Arbeitswelt vergleichbar. Das Frauenbild ist um ganze Entwicklungsepochen hinter dem in Europa zurück. Nur wenige Frauen gehen arbeiten. Zum großen Teil obliegt ihnen die Versorgung der Kinder und der Haushalt.

Und doch sieht man an jeder Ecke die tägliche Entwicklung dieser riesigen Metropole aufblitzen. Gigantische Müllberge verschwinden innerhalb von Wochen, Flüsse werden ausgebaggert, Abflussrinnen werden neben den Straßen ausgehoben und überall entstehen neue Häuser. Regiert wird das Land aktuell von einer Frau. Scheich Hasina Wajed ist die Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman. Mit stetigem hohem Wirtschaftswachstum kommt gleichzeitig die Chance auf eine konstante Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Etablierung einer Grundbildung, die Bekämpfung von Korruption, Vetternwirtschaft und Veruntreuung sowie die Stabilisierung der Wahl- und Pressefreiheit sind die Herausforderungen der Zukunft. So wird jede Generation in einem neuen Bangladesch leben.

Die medizinische Arbeit als German Doctor

Die German Doctors haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Ärmsten der Armen zu helfen. Dabei ist die Arbeit basismedizinisch und damit ähnlich zu den Arbeiten eines Hausarztes zu verstehen. Dementsprechend sah ich in meinem Einsatz viele Patienten mit Schmerzen jeglicher Art sowie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen. Auch chronische Erkrankungen wie Diabetes, COPD und Bluthochdruck werden von uns regelmäßig behandelt. Die Schulung der Patienten zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme stellt sich nicht nur in Bangladesch als Herausforderung dar. Hinzu kamen einige Besonderheiten, die durch die Armut und die Lebensbedingungen unserer Patienten zu erklären sind. Hier sind besonders unzählige Hauterkrankungen, wie Krätzmilben, Pilze und Wundentzündungen zu nennen. Darüber hinaus ist die Tuberkulose (siehe Woche eins, drei, vier, fünf) eine wichtige Differenzialdiagnose, die bei jedem Husten und Patient mit unerklärlichem Gewichtsverlust beachtet werden muss. Durch das scharfe Essen und eine häufige Besiedlung mit einem Magenkeim, der nur schwer zu behandeln ist, gibt es hier auch viele Menschen, die an häufigen Magenschmerzen leiden.

Ein wichtiger Unterschied in der Behandlung der Patienten spielt das hiesige Gesundheitssystem. Es gibt für viele Erkrankungen schlichtweg nur inadäquate Therapieoptionen (z.B. Rheumatisches Fieber, Morbus Parkinson, Tumorleiden). Hinzu kommt das Problem, dass es keine Krankenversicherung gibt. Dies schließt von Vornherein eine gezielte Diagnostik und Behandlung aus. Oft haben wir uns auch über eine unnötige Diagnostik und das Verschreiben von Medikamenten gewundert. Viele Patienten gehen vor dem Arztbesuch auch zuerst in eine Apotheke, wo sie ohne Rezept frei verkäuflich Antibiotika, Antidepressiva, Schmerzmittel und sogar Insulin beziehen können.

Persönliche Grenzen

Neben den medizinischen Grenzen werden einem im Einsatz auch gelegentlich die eigenen körperliche Grenzen aufgezeigt. Zur Regenzeit ist es drückend heiß mit täglichen Temperaturen von 30-40°C. Hinzu kommt der andauernde Regen, der für eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit verantwortlich ist. Schlafen ist nur mit einem laut summenden Ventilator erträglich, der gleichzeitig versucht, den andauernden Straßenlärm zu übertrumpfen. Bei häufigen Stromausfällen fällt der Ventilator jedoch ständig aus. Zu Allem, wozu man dann in der Lage ist, ist nur noch schwitzen. Schwitzen am Tag, schwitzen in der Nacht.

Für die Nahrungsaufnahme gibt es vor Ort eine einfache Regel: „cook it, boil it, peal it, or leave it“ – „koch es, siede es, pell es oder lass es sein. Und auch wenn ich während meiner vorherigen Reisen in ähnliche Regionen bereits gut mit dieser Regel zurecht kam, ereilte mich in Bangladesch doch zweimalig eine Reisedurchfallerkrankung. Das Problem, das sich mir in dieser Situation stellte, war nicht primär die Erkrankung, sondern eine anschließende adäquate Ernährung zur Genesung. Reis und Gemüse sind als Schonkost geeignet. Große Energielieferanten sind sie nicht.

Die tägliche Arbeit mit den Patienten macht sehr viel Spaß und ohne lästige Überdokumentation kann man in unserem Projekt gut klinisch arbeiten. Ernüchternd ist die Behandlung von komplexen Krankheitsbildern. Man trifft immer wieder auf Patienten, die auch hier einer guten Behandlung zugeführt werden könnten und bei denen es die Chance zur echten Lebensverbesserung geben könnte. Dann füllt man häufig eine Krankenhauseinweisung aus. Unserem Rat folgen die Patienten dann nur selten. Selbst bei kostenloser Behandlung (z.B. Einweisung bei Unterernährung) wird diese oft abgebrochen. Dabei sind eine fehlende Gesundheitsbildung sowie ein Mangel an Geld und Begleitpersonen (die Patienten werden teilweise von Angehörigen im Krankenhaus versorgt) zwar nachvollziehbare Gründe, wenn eine Familie eine lebenswichtige Behandlung für ihr Kind abbricht, dann empfindet man trotz alledem ein Frustgefühl.

Mein Dank für eine lehrreiche, glückliche, traurige, spannende, lustige, frustrierende, intensive, anstrengende, hoffnungsvolle und spannende Zeit in Bangladesch gilt unserem Medical Team vor Ort sowie allen Menschen, die dieses Projekt mit Ihrer Arbeit und Ihren Spenden nachhaltig unterstützen.

Vielen Dank !!!

Sechster Wochenbericht

Die letzte Woche meines Einsatzes für die German Doctors ist nun schon angebrochen. Auf Abschiedstour geht es noch ein letztes Mal zu allen Standorten. Und auch von vielen Patienten, die man über diesen Zeitraum regelmäßig gesehen hat, muss ich mich jetzt verabschieden.

Am Montag gibt es wieder eine Vielzahl von Patienten, die ihre tägliche Dauermedikation bei uns abholen. Darunter auch wieder einige Patienten, die seit Wochen nicht bei uns waren und dann zwischendurch keine Medikamente genommen haben. Daran muss man noch arbeiten. Allerdings ist der Wille erkennbar. Zudem stellten sich wieder sehr viele Patienten mit Rücken- und Knieschmerzen vor. Ein Kind mit Fieber und starker Unterernährung musste ich wieder in das lokale Krankenhaus einweisen. Das Feedback der Mutter war wiederum ernüchternd. Wir bieten ihr eine nicht ideale aber immerhin eine Therapieoption für zu Hause an. So werden wir ihr alle Medikamente mitgeben und sie bitten, sich in einer Woche wieder vorzustellen. So haben wir wenigstens die Chance, das Kind regelmäßig zu sehen.

Nebenbei regnet es am Vormittag für ca. zwei Stunden recht stark. Als wir dann mit dem Auto zu unserem zweiten Ort fahren wollen, gelangen wir in eine stark überflutete Straße. Nur wenige Stunden Regen haben zu diesem Schauspiel geführt. Es wird plötzlich deutlich, wie sehr eine Kanalisation fehlt. Unser Fahrer manövriert uns geradewegs in den Ozean, wo bereits einige Autos liegen geblieben sind oder durch die Gegend schwimmen und sich Rikschas durch das Wasser kämpfen. Von den Wassermassen beflügelt gewinnt auch der Müll an Freiheit. Plastiktüten, Essensreste und allerhand Trödel schweben durch die Gegend. Sie verfangen sich anschließend in Rädern, Stoßstangen, Auspuffanlagen, Beinen und allem, was sich noch den Weg durch das Wasser bahnen möchte. Wir bleiben einfach stehen und warten. Zum Glück sitzen wir erhöht. Im seitlichen Türraum beobachte ich, wie sich das braune Wasser seinen Weg auch in unser Auto bahnt. Wir warten weiter, worauf genau weiß ich nicht. Ich nutze die Zeit für eine kleine Fotosession. Nach ca. einer Stunde kommt dann ein Polizist, der uns mit seinem Knüppel klar macht, dass wir endlich mal weiterfahren sollten. Unser Fahrer legt den Gang ein und der Motor heult auf. Anschließend schiebt unser kleiner Transporter die Wassermassen wie ein großer Ozeandampfer vor sich her. Als wir an unserer zweiten Außenstelle ankommen, ist auch hier alles überflutet. Da auch die Patienten bei diesem Wetter nicht den Weg zu uns gefunden haben, beschließen wir den Rückweg anzutreten.

Am kommenden Tag wartet schon ein älterer lustiger Geselle vor unserer Ambulanz. Er zeigt mir stolz seinen Wackelzahn. Viel mehr Zähne waren auch gar nicht mehr vorhanden. Anschließend hat er noch versucht einen möglichst günstigen Preis für seine Prozedur auszuhandeln. Wir mussten ihn dann leider auf einen Besuch beim Zahnarzt vertrösten. Ein paar Stunden später stellt sich eine Mutter mit ihrem dreijährigen fiebernden Kind vor. Die Augen des Kindes weisen eine deutliche Gelbfärbung auf (Ikterus). Durch die dunkle Hautfarbe sieht man die Gelbfärbung eher schlecht. Die Mutter überreicht mir aktuelle Laborwerte, die erhöhte Leberwerte und eine Blutarmut (Anämie) anzeigen. Wir tippen auf eine akute Hepatitis und als Alternative auf eine Malariaerkrankung. Zu Diagnosestellung wollen wir das Kind in das lokale Krankenhaus einweisen. Weil die Mutter dies aber ablehnt, fülle ich einen großen Zettel mit weiteren Labortests aus, die uns helfen könnten, die Diagnose und Prognose der Erkrankung festzulegen. Kurz darauf sind wir wieder in unsere Sprechstunde vertieft, als sich plötzlich auf unserer Straße eine Menschentraube bildet. Neugierig will ich einen Blick riskieren. Es wird reichlich diskutiert. Ein paar Frauen weinen. Dann sehe ich einen jungen Mann, der getragen von zwei Menschen vor Schmerzen stöhnt. Mir wird berichtet, dass er Opfer eines Verkehrsunfalls geworden ist. Ein Bus hatte ihn und seine Rikscha erfasst und zu Boden geworfen. Seit dem Unfall ist reichlich Zeit vergangen. Auch jetzt reden noch alle wie wild durcheinander, es wird gestikuliert und gestritten. Nur eine Entscheidung wird nicht getroffen. Ich untersuche den Patienten orientierend. Er ist kreislaufstabil und es gibt auf den ersten Blick keine offenen Verletzungen. Er deutet starke Schmerzen seines linken Oberschenkels an. Dann unterbrechen wir die vergeblichen Diskussionen. Wir bitten unseren Fahrer unser Auto vorzufahren. Kurzerhand wird der Patient eingeladen. Mit einem Mitarbeiter unseres Teams und zwei Angehörigen bringen wir ihn in die örtliche Notaufnahme, wo er gleich versorgt wird. Leider habe ich am Ende nicht erfahren, wie es mit ihm weiter ging.

Am Mittwoch sehe ich wieder ein typisches Phänomen, das nicht immer leicht zu durchschauen ist. Eine kleine Familie stellt sich bei mir vor. Sie sind allesamt gut gekleidet, die Mädchen tragen Kleidchen. Leider zeichnen ihre Erkrankungen ein anderes Bild von ihren Lebensumständen. Pilzerkrankungen, Vitamindefizit und Unterernährung deuten auf fehlende hygienische Maßnahmen und eine Mangelernährung hin. Am Nachmittag kommt dann eine Mutter mit ihrem 15-jährigen Sohn zu mir in die Sprechstunde. Er leidet unter Husten und Schnupfen, was bei unserer allgemeinmedizinischen Arbeit wahrlich keine Seltenheit darstellt. Nur ist etwas anders bei diesem Duo. Sie verständigen sich mit einer Art Zeichensprache. Die Aussprache des Jungen ist sehr undeutlich und verwaschen. Ich erfahre, dass dies schon immer so der Fall war. Richtig sprechen hat der Junge nie gelernt. Er besitzt jedoch die Fähigkeit, Laute zu formulieren und auch auf sehr lautes Zurufen reagiert er adäquat. Vielleicht könnte hier die Verwendung von Hörgeräten schon einen wichtigen Beitrag leisten. Leider bleibt diese Chance ungenutzt.

Damit ist der letzte Arbeitstag angebrochen. Meine letzte Sprechstunde halte ich dort ab, wo ich vor einer Woche nur noch einen Zustand kannte – Schwitzen. Es gibt wieder eindrückliche Fälle von Kindern mit Scabies zu sehen, wobei sich die vielen kleinen Wunden an den Füßen ordentlich entzündet haben und mir der Eiter ins Blickfeld springt. Auch das kleine Mädchen nach ihrem Autounfall kommt zur Wundkontrolle. Ich hatte sie schon bei der Ankunft mit den anderen Kindern draußen beim Spielen beobachtet. Von einem Verband jedoch keine Spur mehr. Leider sieht die Wunde auch dementsprechend aus. Man erkennt einen Heilungsprozess. Auf der Verletzung hat sich jedoch ein Mix aus Eiter und Staub zu einer klebrigen Kruste verbacken. Ich befürchte, dass hier eine deutliche Narbe zurückbleiben wird. Ich reinige die Wunde so gut es geht und wir arbeiten erneut mit einem Verbandersatz, um den Vater nicht zu verärgern. Dann verlässt meine letzte Patientin unsere Ambulanz.

Ein weiteres Kapitel geht für mich zu Ende. Jetzt heißt es Abschied von den Menschen hier nehmen, mit denen man so intensiv seit sechs Wochen zusammengearbeitet hat. Dabei bin ich dankbar für die unglaublichen Erfahrungen, die ich hier sammeln durfte. Diverse Eindrücke müssen noch verarbeitet werden. Dann wird sich auch die Zeit finden, hier ein kleines Fazit zu schreiben.

Gedanken zum kritischen Konsum

Wir befinden uns in der nächsten Etappe einer kulturellen und industriellen Evolution. Seit mehr als zwei Jahrhunderten leben wir im Maschinenzeitalter. Der smarte Mensch wohnt in einer digitalisierten und vernetzten Welt. Die Völker befinden sich in einem Konkurrenzsystem, in dem sie alle verbrüdert sind.1 Dieses System heißt Globalisierung. Durch die digitale Vergleichbarkeit entsteht ein neuer Kampf. Hier unterscheiden sich die Onlinemärkte entschieden von den alten etablierten Marktmechanismen. Im Sinne der Evolutionstheorie herrscht hier die natürliche Auslese, wonach nur die Stärksten und am besten Angepassten überleben. Dadurch werden in der Bevölkerung auf verschiedenen Ebenen Ängste entwickelt, die auch als Gründe für das Erstarken der neuen Rechten in der westlichen Welt angeführt werden können.

Wie im freien Markt üblich gibt es Gewinner und Verlierer. Als Verlierer droht der Verlust der Grundsicherung durch ein regelmäßiges Einkommen. Es bildet sich ein Gefühlt des „abgehängt sein“ heraus und somit die Angst des Verlusts der gesellschaftlichen Teilhabe. Populisten machen sich diese Ängste zu eigen. Nur liegt das Problem nicht in den Sozialausgaben für Benachteiligte, Arbeitslose oder Flüchtlinge. Trotz hervorragender aktueller Wirtschaftslage und guten Auftragszahlen, werden die Firmengewinne nicht adäquat an die Mitarbeiter weitergegeben. Im Gegenteil – schwache Tarifabschlüsse, befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit verstärken die Einkommensunterschiede noch weiter. Die Lösungsansätze der neuen Rechten, dem mit Unternehmenssteuersenkungen und Deregulierungen entgegen zu wirken, könnten zynischer nicht sein.

Es liegt wohl tief im Menschen verankert sein teuer verdientes Geld auch maximal effektiv wieder auszugeben. Der Slogan eines Warenhauses „Geiz ist geil“ kann als die Überschrift dieser Epoche gesehen werden. Durch den Onlinevergleich und täglich wechselnde Preise sind wir ständig verunsichert, nicht doch einen höheren Preis für unsere Produkte bezahlt zu haben.

Konsum, unser Opium

Es liegt in der Natur der Sache, dass wir im Leben konsumieren müssen. Mit der Arbeitsteilung und Spezialisierung haben wir die Subsistenzwirtschaft verlassen. Dies hat uns einen hohen Lebensstandard ermöglicht, uns jedoch abhängig von der Gesellschaft gemacht. Wir sind somit auf den Konsum von Nahrungsmitteln, Kleidung, Haushaltsgegenstände und weiteren Gütern angewiesen. Unser Konsum geht heutzutage jedoch weit über unsere Grundbedürfnisse hinaus. Der Konsum ist unser Opium und die Werbung ist seine Injektionsnadel. Die Verkürzung der Produktlebenszyklen führen zu steigendem Ressourcenverbrauch und Müllproduktion. In internationalen Wirtschaftssystemen suchen wir uns die Länder mit den günstigsten Arbeitsbedingungen für unsere maximalen Profite heraus (entsprechend niedrigster Arbeitslohn, siehe Bangladesch). Gleichzeitig werden die Produkte durch industrielle Innovationen immer preiswerter. Konsumgüter werden für uns also relativ gesehen immer günstiger. Es kommt zu einem Werteverlust und einer Ersetzbarkeit der Produkte. Wir definieren uns über unsere Gegenstände und ihre Beziehungen zu einander.2

Durch unseren digitalen Dauerkonsum verlieren wir uns in redundanter Überkommunikation, narzisstischen Selbstdarstellungen und zeitraubenden Onlinegames. Wir sind müde von der ständigen Kommunikation, die uns Zeit und Nerven kostet, wenn wir Dinge umständlich beschreiben müssen, weil uns Mimik und Gestik im Chat fehlen. Auf dem Heimweg wird unser Gehirn weiter digital beschäftigt, anstelle sich zu erholen und den Übergang zur Freizeit einzuleiten. Gleichzeitig sammeln Firmen Daten, um uns mit gezielter Werbung zum weiteren konsumieren zu überreden. Dabei erliegen wir häufig dem Trugschluss, dass kostenloser Dienstleistungen (soziale Netzwerke, Messanger, E-Mailprovider) auch umsonst sind. Unsere Gegenleistungen sind Daten, die uns berechenbar, überwachbar und ausnutzbar machen.

Ideen zur Zukunft

Da wir alle zum Leben konsumieren müssen, liegt hier ein Problem. Zuerst müssen wir uns den Konsum und dessen Folgen bewusst werden lassen. Als wichtigste Maßnahme bleibt der persönliche Verzicht. Als Käufer können wir über unseren Konsum gezielt den Markt steuern. Unternehmen werden immer nur die Produkte anbieten, die die Käufer auch konsumieren. Wir besitzen also eine gewisse Macht, die wir nutzen sollten. Hier muss ein Umdenken und eine Rückbesinnung auf Qualitätsprodukte erfolgen, die länger benutzbar und reparierbar sein müssen. In vielen Bereichen des Lebens (Ernährung, Kleidung, Unterhaltung, Haushalt) finden sich große Potentiale, konkret viel Zeit und Geld zu sparen.

Wir müssen dabei zwischen Effizienz und Effektivität unterscheiden. Es bringt nichts, die richtigen Dinge zu tun, wenn man nicht die Dinge richtig tut. Dabei sind es besonders Bildungsbürger, die einen hohen Umweltanspruch an ihren Konsum legen, gleichzeitig jedoch durch Fernreisen, Mobilität und große Wohnungen einen hohen Pro-Kopf-Verbrauch natürlicher Ressourcen aufweisen. 3

Die manipulative Wirkung der Werbeindustrie muss eingeschränkt werden. Bestimmte Werbung sollte komplett verboten werden. Kinder sind eine besonders schützenswerte Gruppe, die nicht gezielt als Werbekunden angesprochen werden dürfen. Zudem sollte man die Zugänglichkeit von digitalen Medien auf den Prüfstand stellen. Es ist wichtig, Kinder früh auch an digitale Produkte heranzuführen. Das frühe Spielen birgt allerdings die Gefahr von rascher Abhängigkeit durch die geschickten Belohnungssysteme. Kinder besitzen hier noch keine ausreichenden Abwehrmechanismen, die sie vor manipulativer Werbung schützen.

Wir sollten wieder anfangen, unsere digitalen Helfer als das zu betrachten, was sie sind – unsere Gebrauchsgegenstände. Wir benötigen keine ständige Erreichbarkeit. Im persönliche “Offline-Austausch” gelingt es uns am einfachsten und schnellsten zu kommunizieren. Ist es nicht viel schöner ein erfreutes Gesicht beim Zeigen der Urlaubsbilder zu sehen, als nur auf Like- oder Herzchen-Jagd zu gehen?  Wir müssen nicht immer etwas “tun”. Pausenzeiten sind auch für unser Gehirn nützliche Entspannungen. Durch eine Entschleunigung vom digitalen Konsum werden wir dann am Ende wieder mehr Zeit für uns und unsere Mitmenschen haben.

Fünfter Wochenbericht

Unser Wochenstart verzögert sich um einige Stunden. Am Wochenende sind wir der chaotischen Hauptstadt in den Süden entflohen. Bei unserer Rückkehr gerät unser Reisebus jedoch in einen original bengalischen Monsterstau, der uns erst müde mit stundenlanger Verspätung wieder ausspuckt.

In der fünften Woche klappen jetzt zu Beginn des Patientengesprächs einige kleine Floskeln und auch die wichtigsten Vokabeln kann man inzwischen verstehen. Schmerzen (betha), Husten (khashi ) und Juckreiz (cholkani) gehören in jede Anamnese. Manche Patienten sind in der Folge einer standesgemäßen Begrüßung und Vorstellung ein wenig sprachlos. Mittlerweile hat man auch einen klinischen Blick für die lokalen Krankheitsbilder entwickelt. Mein erster Patient ist mit seinen 31 Jahren stark unterernährt. Bei der Untersuchung zeigen sich eindrückliche Trommelschlägelfinger. Diese sind ein Zeichen für eine chronische (lang andauernde) Erkrankung. Der häufigste Grund in Bangladesch ist eine Tuberkulose-Erkrankung. Auch diesen jungen Mann werde ich ins Krankenhaus zur weiteren Diagnostik einweisen. Heutzutage ist die Chance einer Genesung bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme recht gut. Ein 13-jähriges Mädchen klagt über anhaltende Bauch- und Kopfschmerzen seit einem Jahr. Ein Problem, welches man auch bei dieser Altersgruppe oft in Deutschland zu hören bekommt. Oftmals liegen diesen unspezifischen Symptomen aber ganz andere Ursachen zu Grunde. Und auch hier werde ich nach ein paar Nachfragen fündig. Die Mutter der Patientin ist vor ca. einem Jahr nach Dubai gegangen. Was sie dort macht, erfahre ich leider nicht. Mein Übersetzer erklärt mir, dass dies nicht ungewöhnlich für Bangladeschis ist. Sie sind dort als Putzfrau oder im Baugewerbe als günstige Arbeitskräfte beschäftigt. Ein wenig später stellt sich ein verzweifelter junger Mann bei uns vor. Aus einem alten Arztbrief lese ich, dass er vor zwei Jahren in einem Krankenhaus wegen einem Suizidversuch aufgenommen wurde. Dabei hat er große Mengen einer Säure geschluckt, die in der Folge seine Speiseröhre verätzt hat. Er hat dieses schreckliche Ereignis damals überlebt. Jedoch blieb die Tat nicht ohne Folgen. Seine Speiseröhre wurde so stark gereizt, dass sie jetzt verengt ist (Ösophagusstriktur). Der Patient kann keine feste Nahrung zu sich nehmen. Ich kenne den genauen Befund nicht, aber mit Sicherheit könnte man hier mit einem endoskopischen Verfahren die Striktur genau darstellen und mit einem Ballon versuchen, diese zu erweitern. Da es sich hierbei um eine spezialisierte Untersuchung handelt, müssen die Experten ran. Wir notieren uns Namen und Telefonnummer des Patienten. Unser Projektmanager ist aktuell dabei einen Termin beim hiesigen Professor für Magen-Darm-Erkrankungen zu organisieren.

Am Dienstag regnet es von morgens bis abends durchgängig in Dhaka. Trotzdem finden viele Patienten den Weg in unsere Ambulanz. Es gibt eine Sache, die uns bei der Arbeit häufig zum Schmunzeln bringt und bei der abendlichen Auswertung in schallendem Gelächter endet. Es geht um die richtige Inhalationstechnik. Einige Patienten leiden an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Diese wird besonders durch eine lange Rauchexposition verursacht. Neben dem Zigarettenrauch spielt in Bangladesch besonders der Kontakt zu Rauch in der Wohnung (durch offene Feuerstellen) eine große Rolle. Zur adäquaten Behandlung der Erkrankung ist es wichtig, mit einem Inhalator präzise umzugehen. Der Wirkstoff muss im richtigen Augenblick abgegeben und im Anschluss auch wirklich eingeatmet werden. Diese Technik üben wir dann so oft es geht mit dem Patienten. Bei den täglichen Trainings gibt es allerhand interessante Techniken zu bestaunen. Die Varianten reichen vom „Schlucken“ und „Gegenpusten“ über „Sprühen mit offenem Mund“ bis zum „Luftanhalten-Rekord“. Auch unsere Mitarbeiter sind jedes Mal mit vollem Elan dabei (siehe Bild).

In der vergangenen Woche habe ich über ein Kind mit einer durch Vitamin D-Mangel verursachten Erkrankung berichtet. Gelegentlich sehen wir auch Frauen in unserer Sprechstunde, die unter Rückenschmerzen, Muskelkrämpfen und Knochenbrüche leiden. Interessanterweise kommt es bei Ihnen in einem sehr sonnigen Land ebenfalls zu dieser Mangelerkrankung. Grund dafür ist das Tragen einer in muslimischen Ländern üblichen Burka. Freizügig zeigt sich niemand in Bangladesch. Auch am Strand wird stets auf lange Kleidung geachtet. 

Der Mittwoch ist ein großer Freudentag für unsere Mitarbeiter. Mit 115 Patienten stellen wir einen kleinen Tagesrekord in diesem Jahr auf. Zudem wird in großer Runde bei einem gemeinsamen Mittagessen der erste Geburtstag des Kindes unseres Fahrers gefeiert.

Am Nachmittag notiere ich einen neuen persönlichen Rekordwert für einen von mir gemessenen Blutzuckerwert. Es handelt sich dabei um den Assistenten unseres Projektleiters in Dhaka. Er stellt sich eigentlich wegen Rippenschmerzen vor. Die Konsultation ist nach der folgenden Untersuchung schon fast beendet, als mein Übersetzer noch einen Hinweis gibt. Es handelt sich um einen Diabetes-Patienten. Medikamente würde er aber nie nehmen. Der Wert ist mit 32,3 mmol/l nochmal um ein Vielfaches höher, als mein vorheriger Rekordwert. Ich bin gespannt, ob der Wert nochmal getoppt werden kann. Wir verteilen gern Luftballons an die Kinder in unserer Sprechstunde. Ein kleines Mädchen ist verrückt nach dem roten Ballon. Da ich nebenbei noch die beiden älteren Schwestern und die Mutter behandle erheitert uns die Kleine für eine ganze Weile. Dabei fällt auf, dass sie auf der Jagd nach dem Ballon merkwürdige robbende Bewegungen macht. Die Mutter zeigt mir ein Röntgenbild, das einen Bruch des Oberschenkelknochens (Femurfraktur) zu erkennen gibt. Das Bild ist auf den Tag nach der Geburt datiert. Ich tippe hier auf eine traumatische Geburtsverletzung, wahrscheinlich nach Geburt aus Beckenendlage. Dies ist eine Kindslage, wobei nicht der Kopf, sondern das Becken zuerst geboren wird. Dies stellt eine Gefahr für das Wohl des Kindes und der Mutter da, weshalb in Deutschland sehr häufig Kaiserschnitte bei dieser Einstellungsanomalie durchgeführt werden. Der Bruch ist jetzt gut verheilt. Laufen kann das 14 Monate alte Kind noch nicht. Wir werden es engmaschig zur Kontrolle einbestellen und beobachten.

Am folgenden Tag weckt mich die Sonne sanft am Morgen. Dass dies nur ein kleiner Vorgeschmack auf den kommenden Tag sein wird, ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Unermüdlich wird sie heute auf uns herabschauen. Das Thermometer zeigt am Mittag bereits 37°C. Wir sitzen in unserer kleinen Hütte zwischen Eisenbahnlärm und LKW-Smog. Der Ventilator ist ausgefallen. Was vorher mal unsere Ambulanz war, ist jetzt zu einer Sauna mutiert. Wir sehnen einen rettenden Regenschauer herbei, doch der kommt nicht. Dafür aber reichlich Patienten. Zum Glück besucht uns die Großmutter des Kindes, das wir vergangene Woche in unserer Ambulanz behandelt haben. Sie hat erbarmen mit den schwitzenden Helfern und sie hilft uns kurzzeitig, indem sie mit ihrem Fächer einen kleinen Luftstrom erzeugt. Wir freuen uns auch, dass es der Patientin jetzt wieder besser geht. Am meisten hat mich an diesem Tag ein kleines Mädchen berührt, das mir schon oft als Fotomotiv gedient hat. Vor drei Tagen ist ein Auto über ihren Fuß gefahren. Bei einer Krankenhausvorstellung wurde ein Bruch ausgeschlossen. Trotzdem klafft auf dem Fuß eine große Wunde. Wir wollen die Wunde reinigen und verbinden, jedoch ist die Patientin nach einer Schmerzmitteleinnahme nicht mehr im Wartebereich zu finden. Mein Übersetzer macht sich auf den Weg zur Familie. Der Vater erklärt, dass er einen Verband für unnötig hält. Nach mehrmaligen Versuchen gelingt es uns zumindest die Patientin in Begleitung der Mutter wiederzusehen. Ich verzichte auf einen Verband und befestige den Tupfer mit zwei großen Pflastern. Nicht schön aber vielleicht wird es den Vater davon abhalten, die Arbeit gleich wieder zunichte zu machen. In der nächsten Woche wird sich zeigen, ob die Maßnahme erfolgt hatte.

Ein Leben neben der Bahnschiene

Für uns ein schauriger Anblick, für unsere Patienten der normale Alltag in Dhaka. Einige Patienten von uns wohnen in Slumgebieten, die direkt neben vielbefahrenen Bahnschienen liegen. Ein Foto vermag mehr zu sagen, als ich berichten kann.

 

Vierter Wochenbericht

Meinen letzten Wochenbericht habe ich mit den Erfahrungen geschlossen, dass wir auch gelegentlich schwer kranke Patienten mit Krankenhauseinweisungen in der nächsten Woche wiedersehen. Dass dies auch bei unserem stark unterernährten Kind der letzten Woche der Fall sein könnte, habe ich nicht für möglich gehalten. Meine vierte Woche beginnt jedoch leider genau mit diesem Vorfall.

Wir erfahren, dass die stationäre Behandlung bereits nach sechs Tagen abgebrochen wurde. Dabei hat sich die Familie aus privaten Gründen gegen den Rat der Ärzte selbst entlassen. Das Krankenhaus ist weit vom Wohnort der Familie in Dhaka entfernt. Die Familie ist neu in der Hauptstadt und sie haben keine Verwandten hier. Die Mutter ist selbst unterernährt und krank. Ich sehe, wie sie kraftlos versucht das schreiende Kind zu beruhigen. Viel Frustration und Resignation lese ich in ihrem Gesichtsausdruck. Sie möchte nicht allein im Krankenhaus mit ihrem Kind bleiben. Ich bin gelinde gesagt wirklich sprachlos. In Deutschland würde man in diesem Fall sicher eine einstweilige Verfügung wegen Kindeswohlgefährdung und eine Inobhutnahme durch das Jugendamt anstreben. Ich erkläre dem Vater nochmals in aller Deutlichkeit, dass das Risiko, erst sein Kind und anschließend seine Frau zu verlieren, angesichts dieser Befunde Realität werden könnte. Wir wollen eine Vermittlung an ein lokales Krankenhaus organisieren. Ich möchte zusätzlich zumindest versuchen, einen Sozialarbeiter für die Familie zur beschaffen. Kurz darauf verlassen sie rasch unsere Ambulanz. Die Übersetzer versichern mir, dass sie alle Vorbereitungen treffen möchten, um dann in einer Stunde wieder zu kommen und mit uns erneut ins Krankenhaus zu fahren. Es fällt mir schwer euch mitteilen zu müssen, dass wir in der Folge leider vergebens gewartet haben…

Anschließend kommt eine 32-jährige Patientin, die angibt, seit fünf Jahren an einer Diabetes-Erkrankung zu leiden. Laut eigener Aussage nimmt sie regelmäßig ihre Medikamente, die sie sich in einer Apotheke beschaffen kann. Der zunehmende Durst und der häufige Toilettengang stören sie in der letzten Zeit jedoch zunehmend. Wir schreiten zur Tat und zücken das Blutzuckermessgerät. Ich habe zwar noch keine lange Erfahrung in der Behandlung der Diabetespatienten, einen so hohen Wert habe ich jedoch auch noch nicht erlebt. Das Messergebnis ist mit 22,6 mmol/l doppelt so hoch, wie der maximale Grenzwert. Meine internistische Kollegin weist mich darauf hin, dass dieser Wert eine Krankenhausbehandlung mit kontrollierter Insulintherapie bedeutet. Ich folge ihrem Rat und fülle die Einweisung ins örtliche Krankenhaus aus.

Am Montag besichtigen wir zum ersten Mal den angrenzenden Slum unserer Ambulanz. Auch hier wohnen viele Menschen direkt an den Bahnschienen. Es gleicht einem Wunder, dass hier verhältnismäßig wenig Leute mit Verletzungen umherlaufen. Regelmäßig donnern Schnellzüge vorbei, die sich zwar durch lautes Hupen ankündigen aber zum Bremsen wäre es viel zu spät. Bei unserer Besichtigung fällt uns eine Mutter mit einem jungen Baby ins Auge. Sie erzählt uns, dass es zu früh geboren ist. Die Mutter leidet zudem an einer Tuberkulose und sie wiegt gerade einmal 30 kg. Wieder eine sehr ungünstige Kombination, die sich besonders drastisch auf ihr Neugeborenes auswirkt. Es liegt schlapp im Arm der Mutter. Unsere Schwester wiegt es und sie schreibt 2 kg in unser Untersuchungsheft. Ich denke, selbst diese Gewichtsangabe ist noch zu hoch. Die Haut des Babys ist dreckig, es atmet schwer und ich denke ebenfalls an eine zusätzliche Infektion. Wir weisen Mutter und Kind wieder in ein spezielles Krankenhaus für unterernährte Kinder ein. Ich denke wieder an das unterernährte Kind vom Vortag. Wut und Frustration mischen sich zu gleichen Teilen. Die nächsten Patienten warten schon.

Ein älterer Mann kommt in die Ambulanz gehumpelt. Auf seinem rechten Fuß befindet sich eine offene eitrige Wunde. Ein Gerüst ist vor zwei Tagen auf seinen Fuß gefallen. Jetzt ist er zudem noch angeschwollen. Eine Fraktur kann der Mann mit Sicherheit ausschließen. Ansonsten könne er ja nicht mehr laufen, versichert er mir. Neben einem Wundverband werden wir trotzdem ein Röntgenbild aufnehmen lassen, nur zur Sicherheit. Der nächste Patient bietet meinem Übersetzer doch einige Schwierigkeiten. Neben Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss, Schmerzen und tröpfchenweisem Urinabgang ist alles dabei. Ich veranlasse eine Urinuntersuchung und wir führen einen Ultraschall durch. Die Harnblase ist auch nach dem Wasserlassen noch gefüllt. Hier stellt sich ebenfalls eine unklare Masse dar. Ich tippe auf einen Prostata- oder Blasentumor. Nachdem ich dem Patienten die Befunde erklärt habe, eröffnet er uns, dass er schon im Krankenhaus war und die Ärzte ihm eine Operation nahegelegt haben. Vielleicht wäre diese Information ca. 20 Minuten vorher auch von Nutzen gewesen!? Teilweise wundert es uns aber schon, dass einige Patienten schon ausführliche Diagnostik genossen haben und dann trotzdem nochmals in unserer Ambulanz vorstellig werden.

Am Dienstag bittet uns mein Übersetzer nach der Arbeit noch auf einen Besuch in das nah gelegene private Krankenhaus zur „Visite“ eines noch sehr jungen Verwandten mitzukommen. Weil es sich dabei um eine Neugeborenenintensivstation handelt, ist der Besuch für mich gleich umso spannender. Das Baby ist gerade einmal sechs Wochen alt. In der vergangenen Woche begann es plötzlich mehrmalig zu krampfen. Die Ärzte vermuten eine Neugeboreneninfektion mit Beteiligung des Gehirns (Meningitis), weshalb sie eine antibiotische Therapie begonnen haben. Es wirkt befremdlich, dass es dann bei einer einfachen Diagnostik geblieben ist und beispielsweise Laborwerte nicht erneut kontrolliert wurden und keine Ultraschalluntersuchung des Gehirns durchgeführt wurde. Die Stationsärztin erklärt uns hierzu, dass man den Erfolg der Therapie am Beenden der Symptome ablesen kann. Ich fühle ein inneres Verlangen diverse weitere Untersuchungen durchzuführen. Sicherlich müssen immer die lokalen Behandlungsrichtlinien beachtet werden. Ich empfinde gerade hier eine Krankenhaus-Kooperation im Bereich der spezialisierten Medizin als sehr sinnvoll und nachhaltig. (siehe Gedanken zur Arbeit in einem medizinischen Entwicklungsprojekt). Dies sind hier jedoch nicht die Aufgaben der German Doctors.

An unserem arbeitsintensiven Mittwoch will die Warteschlange kein Ende nehmen. Von morgens bis abends werden wir in der Ambulanz sitzen. Dabei sehe ich unglaublich viele Hauterkrankungen, darunter allein 16 Mal einen Scabies-Befall, wobei nicht selten die gesamte Familie betroffen ist. Zum Tagesabschluss gibt es noch ein kleines seltenes pädiatrisches Highlight für mich. Ein Kind sitzt fröhlich auf dem Schoß der Mutter. Die starke Unterernährung scheint dem Mädchen nichts von ihrer Lebenslust genommen zu haben. Die kleine Patientin wird von der Mutter regelmäßig zur Gewichtskontrolle in unserer Ambulanz vorgestellt. Stetig aber langsam nimmt sie hier an Gewicht zu. Doch irgendwie wirkt der Schädel sehr quadratisch und an den Handgelenken finden sich merkwürdige Schwellungen. Mein Übersetzer konnte zum Glück diese Zeichen richtig deuten, denn ich habe in meinem Leben noch nie ein Kind mit Rachitis (Vitamin-D-Mangel) gesehen. Zur Vorbeugung verschreiben wir Kinderärzte in Deutschland eine tägliche Vitamin-D-Gabe im ersten Lebensjahr. Besonders durch die Mangelernährung (geringe Aufnahme von Milchprodukten mit hohem Calciumgehalt) und auch die mangelnde Sonneneinstrahlung z.B. bei verhüllten Frauen bekommt man in unseren Projekten gelegentlich auch diese Erkrankung noch zu Gesicht.

An unserem letzten Arbeitstag in dieser Woche beginnen wir, wie gewohnt mit einer kleinen Weiterbildung. Dabei bereiten wir Ärzte für unsere Mitarbeiter immer neue Themen vor. Heute geht es beispielsweise um den Herzinfarkt. Obwohl ich mich in der Lehre recht wohl fühle, stellen mich die Lehrveranstaltungen hier regelmäßig auf die Probe. Selbst bei unserem medizinisch vorgebildeten Personal fehlt es oft an wichtigen Grundlagen.

Kurz darauf wird es wieder ernst für uns. Wir müssen ein stark dehydriertes Kind behandeln. Das kleine Mädchen hat zudem sehr hohes Fieber bis 40°C. Wir möchten es sofort ins Krankenhaus bringen aber die Oma erzählt uns, dass die Mutter arbeiten ist und sie sich noch um die vier weiteren Geschwister kümmern muss. Wir müssen also improvisieren. Ich habe schon die Infusion vorbereitet, als das Kind plötzlich erwacht und einen großen Schluck aus unserem Becher nimmt. Wir funktionieren kurzerhand unser kleines Sprechzimmer in einen Behandlungsraum um. Die kleine Patientin wird unter einem Ventilator auf eine Trage gelegt. Das Fieber senken wir mit Paracetamol und sie erhält ein Antibiotikum. Die Mutter kommt dann anschließend doch noch zu Besuch. Sie wird nun neben uns sitzen bleiben und Schluck für Schluck den Wasserhaushalt ihrer Tochter wieder regenerieren. Am Ende des Arbeitstages sind wir froh, dass unsere Tagespatientin sogar noch ein paar Kekse zu sich genommen hat. Die Temperatur ist deutlich gesunken und auch die Farbe ist in ihr Gesicht zurückgekehrt. Die Mutter wird zu Hause weiter auf sie achten müssen. Ich hoffe, das Antibiotikum schlägt rasch an, damit sich diese Situation nicht mehr wiederholen kann.

Wir sehen in unseren Ambulanzen täglich viele Patienten, die wir routiniert therapieren können. Bei ein paar Patienten können wir einen Unterschied machen. Jedoch muss unsere Hilfe auch von ihnen angenommen werden. Diese Woche zeigte, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen hier sein können.

Gedanken zum Klimawandel und Flugreisen

Im Süden Bangladeschs lassen sich live die Folgen des Klimawandels besichtigen. Durch die zunehmenden Überschwemmungen und den steigenden Meeresspiegel verlieren viele Einwohner ihre Behausungen und Lebensgrundlage. Dabei ist Bangladesch durch seine geografische Lage am Golf von Bengalen und mit oft nur geringer Lage über dem Meeresspiegel besonders stark vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Viele Dörfer sind vollkommen von den Fluten umschlossen und die Versorgung erfolgt nur noch über den Wasserweg. In der Folge zieht es Millionen von Menschen in die großen Städte, wie auch die Hauptstadt Dhaka. Auf der Suche nach einem Einkommen sind die Migranten gezwungen, jede erdenkliche Art von Arbeit anzunehmen. Auch viele Kinder zieht es in die Stadt, wo ihnen als Straßenkindern Hunger, Erkrankungen, Armut, sexuelle und physische Gewalt begegnen. 1

Der Klimawandel wird in naher Zukunft das alles überschattende Problem unserer Zeit sein. Er führt zu massiven Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürmen und in deren direkter Folge zu Hungersnöten, Seuchenausbrüchen, Armut und Bürgerkriegen. Diese Phänomene verstärken sich gegenseitig und bedingen einander. Diese ökologische Katastrophe wird bis 2050 über 140 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen machen. 2 Hinzu kommen weitere Migranten, die sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in eine bessere Zukunft machen. Es ist erschreckend, wie sehr uns unser moralischer Kompass im Umgang mit der Migration abhanden gekommen ist. Es ist zutiefst zynisch, wie gering unsere Ausgaben für das Entwicklungsministerium im Vergleich zur Verteidigung ausfallen. 3 In der globalisierten Welt sind wir ständig vernetzt und untereinander verbunden. Dazu zählen auch die sogenannten Länder der dritten Welt. Wenn wir uns unserer Verantwortung nicht bewusst werden, dann werden zukünftig noch mehr Menschen den Weg zu uns finden. Dabei fällt der Blick im Bezug auf Flüchtlinge leider unnötigerweise zur Seite. Nicht die Menschen auf unserer Ebene sind jedoch das Problem. Der Blick muss nach oben gehen, zum Verhältnis zwischen arm und reich.

Die treibenden Faktoren des Klimawandels sind Ernährung, Energie, Mobilität und der Konsum.

Ich möchte euch hier den CO2-Rechner des Umweltbundesamtes vorstellen. Hier könnt ihr euren eigenen CO2-Verbrauch mit dem Durchschnitt eines Menschen in Deutschland vergleichen. Dieser liegt im Schnitt bei ca. 11,63t CO2/Jahr/Bürger. Im Vergleich dazu produziert ein durchschnittlicher Weltbürger ca. 4t CO2/Jahr. Wenn alle Menschen der Erde so leben würden wie wir in Deutschland, dann würden wir drei Erden benötigen. 4  US-Amerikaner sind hier die Spitzenreiter mit einem vergleichbaren Bedarf von 5 Erdkugeln!

Im Bezug auf den CO2-Rechner möchte ich besonders den Punkt Mobilität und Flugreisen in den Mittelpunkt stellen. Wie eine aktuelle Studie zeigt, legt die jungen Generation besonders auf ökologische, regenerative und soziale Themen viel Wert. 5 Viele ernähren sich vegetarisch, fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln und beziehen Ökostrom.

Beim Thema Flugreisen ist das grüne Gewissen jedoch wie weggeblasen. Im Gegenteil, Kurzurlaube, Städtetrips in Europa und Weltreisen erfreuen sich großer Beliebtheit bei Generation Y. Wann hören wir auf uns als ökologische und moralische Instanz des Planeten zu betrachten und unsere Eltern und Großeltern zu belehren, nur weil sie Fleisch essen und keinen Ökostrom beziehen. Wie groß unser Trugschluss ist, zeigt der Blick auf den CO2-Rechner.

Ein Hin- und Rück-Flug in die Karibik verursacht ca. 4t CO2 6 und damit so viel wie ein durchschnittlicher Weltbürger im gesamten Jahr produziert! Flugreisen nach Peking verursachen mit ca. 5,3t CO2 bereits die Hälfte deines jährlichen Gesamtausstoßes in Deutschland! Hinzu kommen weitere Effekte des Fliegens, die den Treibhauseffekt begünstigen. 7

Dabei stellt sich anscheinend niemand die Frage, wie es möglich ist, dass Flugreisen für teilweise aberwitzige Kampfpreise angeboten werden können. Die Fluggesellschaften führen auf Kosten des Flugpersonals, der Sicherheit 8 und der Umwelt einen erbitterten Preiskampf. Die Vergleichsportale im Internet führen mit undurchsichtigen Rabattaktionen zur weiteren Verwirrung der Käufer. Warum kann man hier nicht angemessene Preise zahlen?

Ein Gefühl für einen fairen Preis erhaltet ihr, wenn ihr eure Flüge kompensiert. Sicherlich ist der Umweltschutz kein Nullsummenspiel (Achtung: Greenwashing!) aber bei verschiedenen Anbietern (z.B. primaklima, atmosfair, myclimate, climatfair) könnt ihr hier ökologische Projekte unterstützen.

Mit einem Blick in die Szenarien des CO2-Rechners lassen sich verschiedene Veränderungen und deren Auswirkungen untersuchen. Stellt man seine komplette Ernährung auf vegane, regionale und saisonale Bioprodukte um, so ergeben sich kurz- und mittelfristig Einsparpotentiale von 0,87t CO2 im Jahr. Dies entspricht gerade einmal einem Hin- und Rückflug nach Mallorca (0,7t CO2). Man muss natürlich ebenfalls bedenken, dass die Fleischproduktion zusätzliche Treibhausgase erzeugt. Hinzu kommt der enorme Wasserverbrauch und die Entstehung von Antibiotikaresistenzen.

Die beiden größten Punkte im Bereich der CO2-Bilanz sind jedoch der Energie- und Konsumsektor. Allein durch den Umstieg auf Ökostromanbieter wie z.B. Greenpeace Energy, Naturstrom, Bürgerwerke ergibt sich ein Einsparungspotential von 0,74t CO2/Jahr/Person. Diesen Punkt sehe ich als enorm wichtig und leicht umzusetzen an.

Auf das Thema Konsum werde ich in einem weiteren Beitrag gesondert eingehen. Sicher ist, dass hier ein riesiges Potential besteht (siehe 3,05t CO2-Einsparungen).

Die folgenden Bilder sind den Szenarien des CO2-Rechners des Umweltbundesamtes entnommen

Ich finde den CO2-Rechner des Umweltbundesamtes sehr anschaulich und er bietet uns leicht zugänglich und verständlich die Möglichkeit, die Auswirkungen unseres Lebensstils zu verdeutlichen. Wessen Interesse jetzt geweckt wurde, der kann auch den Footprint-Rechner des WWF ausprobieren. Ich möchte für einen ehrlichen und fairen Umgang mit dem Thema Flugreisen plädieren. Einige Flüge sind sicher notwendig und es ist schlichtweg unrealistisch, weite Distanzen mit einem anderen Verkehrsmittel zurückzulegen. Es sollte jedoch zur Routine werden, kurze Distanzen mit der Bahn zurückzulegen und unsere Umweltschäden durch Flugreisen zu kompensieren.