Zweiter Wochenbericht

Unsere Woche beginnt, nicht wie gewohnt am Montag, sondern am Sonntag. Im muslimisch geprägten Bangladesch ist der Freitag entsprechend dem christlichen Sonntag Ruhe- und Bettag.

Als einer der ersten Patienten stellt sich eine hochschwangere Frau mit Unwohlsein und Schwindel vor. Hier sind besonders Infektionen und Gestosen (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftungen) wichtige Differenzialdiagnosen, die es zu beachten gibt. Der Blutdruck liegt im grünen Bereich. Ein positiver Urinbefund bringt die entscheidenden Hinweise: Die Dame hat einen Harnwegsinfekt. Ich versuche mich als nebenberuflicher Geburtshelfer und halte den Schallkopf auf den prallen Bauch. Das Baby ist nicht zu übersehen. Die Mutti strahlt, als sie ihr Kind auf dem kleinen mobilen Ultraschallmonitor sieht. Ich empfinde den Herzschlag als regelmäßig und somit attestiere ich keinen kindlichen Stress. Auch die Fruchtwassermengen sehen adäquat aus. Bei der Darstellung des Geschlechts scheitere ich jedoch. Es wird eine Überraschung bleiben. Trotz Überredungsversuchen wird sie ihr Kind (so, wie bereits die ersten drei) ebenfalls zu Hause gebären. Auch wenn die Muttersterblichkeitsrate von Bangladesch mit 176 Todesfällen auf 100.000 Geburten 1 hoch erscheint (Vergleich Deutschland 6/100.000 Geburten, Daten von 2015 2), so wurden in den letzten Jahrzehnten großartige Erfolge bei der Umsetzung der UN Millennium Development Goals erzielt und die Mütter- und Kindersterblichkeit deutlich reduziert. 3

Der nächste Patient ist mir noch von der ersten Woche bekannt. Es ist unser Ersatzfahrer (etwas 60 Jahre), der in der vergangenen Woche (wegen der Feiertage) unseren Einsatzwagen gesteuert hatte. Ein positiver Urinbefund ließ mich damals die Diagnose eines Harnwegsinfektes stellen. Eine antibiotische und schmerzlindernde Therapie wurde mit Ihm besprochen. Die Schmerzen sind in der aktuellen Woche auch gut rückläufig, jedoch beschreibt er weiterhin das brennende Gefühl beim Wasserlassen. Zudem fällt eine Lymphknotenschwellung auf und er berichtet über gelegentlichen Ausfluss aus der Harnröhre. Anschließend passiert etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Er offenbart uns, dass er vor ca. vier Wochen bei einer Prostituierten war und seit zwei Wochen die Symptome immer intensiver wurden. Wir schicken ihn zu einem Labor und testen auf Syphilis. In der Zwischenzeit bekommt er eine standardisierte Antibiotikatherapie, die bei vielen sexuell übertragbaren Erkrankungen Wirkung zeigen sollte.

Der nächste Tag startet mit einem vollen Wartezimmer. An diesem Ort haben wir bereits seit längerer Zeit eine feste Sprechstunde etabliert. Es gibt dementsprechend auch viele chronisch kranke Patienten, die nur wegen ihrer Dauermedikation kommen. Westliche Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck sind die Klassiker. Zwischenzeitlich gibt es auch interessante Fälle wie ein Kleinkind mit stark ausgeprägter oraler Candida-Infektion (Pilzerkrankung). Dann stellt sich eine Patientin mit anhaltendem Tremor (Zittern) der Hände vor. Eine Vorgängerin vermutete hier eine Parkinson-Erkrankung. Sie war bereits beim lokalen Neurologen vorstellig. Die empfohlene Dauermedikation haben wir hier leider immer noch nicht in unserem Repertoire. Eine Medikation erscheint auch nicht sinnvoll, denn sobald die Medikamente nicht regelmäßig bezogen werden können, sollte die Medikamenteneinnahme nicht abrupt beendet werden, denn viele Medikamente müssen behutsam auf- und abdosiert werden. Sobald diese Möglichkeit nur unzureichend gegeben ist, sollte man eher auf Grund der zu erwartenden Nebenwirkungen auf einen Therapieversuch verzichten. Diese Entscheidung zu treffen, fällt nicht leicht.

Am Nachmittag kommt der ältere Patient der vergangenen Woche mit seinem Abszess zur Verlaufskontrolle. Die Schwellung ist tatsächlich rückläufig. Nur hat er jetzt schon seit einigen Tagen Ausfluss aus seinem rechten Ohr. Ich stelle eine Entzündung des äußeren Gehörgangs (Otits externa) fest und verschreibe Ohrentropfen. Wenig später kommt eine ältere Dame die angibt, seit längerer Zeit zur Abtötung von potentiellen Würmern regelmäßig einen Schluck Kerosin zu trinken. Verdutzt frage ich nach der korrekten Übersetzung aber mein Übersetzer schmunzelt nur und wiederholt die Aussage. Wir verschreiben ihr vorsichtshalber ein herkömmliches Entwurmungsmittel und geben den Rat die Einnahme von Kerosin lieber einzustellen. Alternativ sollte sie anschließend lieber keine Zigarette rauchen. 😉

Eine Frau berichtet am nächsten Tag von merkwürdigen Veränderungen ihrer Finger- und Zehennägel. Seit längerer Zeit verfärben sich diese an ein einigen Stellen dunkelgrün und sie werden stark porös, bis sie die krankhaften Regionen schlussendlich abschneidet. Das führt neben dem kosmetischen Manko ebenfalls zu Schmerzen und die offenen Wunden sind Eintrittsstellen für weitere Krankheitserreger. Da ich auch nicht mehr weiter weiß, kontaktiere ich unseren Dermatologen in Deutschland. Am Folgetag kommt bereits eine rasche und ausführliche Antwort. Der erfahrene Kollege vermutet den Befall mit einem speziell feuchtigkeitsliebenden Bakterium (Pseudomonas aeruginosa), welches durch den häufigen Kontakt zu Wasser unter den Nägeln Kolonien gebildet hat. Ich werde in der kommenden Woche mit der Patientin die vorgeschlagenen Therapiehinweise besprechen. Eine ältere Dame fängt nach der Begrüßung sofort an zu weinen. Ich erfahre, dass sie vier Söhne hat, die sich jedoch nicht um sie kümmern und sie aktuell bei Bekannten in der Gegend unterkommen kann. Ihr Alter führt dazu, dass sie nicht mehr arbeiten und somit kein Einkommen mehr generieren kann. Wir versuchen ihr gut zuzureden. Ändern können wir nichts. Die verschriebenen Multivitamin- und Eisenpräparate werden gegen den Hunger und den Schmerz nicht weiterhelfen. Zum Abschied streichelt sie meinen Kopf und sie bedankt sich ausführlich. Unter Tränen verlässt sie unsere Sprechstunde.

Am Mittwochmorgen ist leider unser Fahrer akut erkrankt. Kein weiteres Teammitglied ist in der Lage, den Wagen zu fahren. Ein Führerschein ist keine Selbstverständlichkeit. Das Team ist zur Improvisation gezwungen. In einer Krisensitzung wird der Plan gefasst, heute per Rikscha zum Einsatzort zu fahren. Mit Tempo geht es durch die verwinkelten Gassen von Dhaka, wo gerade das Leben erwacht. Als wir ankommen, warten bereits wieder viele Patienten auf uns. An diesem Tag sehe ich einen Säugling, der mich ganz apathisch anguckt. Eine anhaltende Magen-Darm-Infektion kann, verbunden mit den hiesigen Temperaturen, rasch eine starke Dehydratation (Wassermangel) auslösen. Die Augen des Kindes sind eingefallen, die Lippen trocken und es ist sehr schwach. Ich beschließe, das Kind ins örtliche Krankenhaus einzuweisen. Leider ist durch unseren Krankheitsfall eine Verlegung mit unserem Fahrer nicht möglich. Wir reden lange und intensiv mit der Mutter, die sich daraufhin auf den Weg in die Rettungsstelle macht. Am Nachmittag stellen sich die Zwillinge Rony und Jony vor. Sie haben eine besondere Geschichte. Da sie nach ihrer Geburt sehr untergewichtig waren, wurden sie auf die damalige Fütterungsstation unseres Projekts aufgenommen. Durch die intensive Zuwendung des Teams haben sie sich hervorragend entwickelt. Nun kommen sie beide mit unsäglichem Juckreiz am gesamten Körper. Ein mittlerweile geschulter Blick und die Diagnose ist rasch gestellt. Es handelt sich bei den Zwillingen um eine Infektion mit der Krätzmilbe. Neben der medikamentösen Therapie müssen viele Hygienehinweise umgesetzt und die gesamte Familie mitbehandelt werden. Bei einem Misserfolg droht eine Reinfektion und die Therapie muss von vorn begonnen werden.

Die Woche ist dem Übergang gewidmet. Viele Leute kehren von ihren Familien auf dem Land nach Dhaka zurück. In der Stadt herrscht geschäftiges Treiben. Im Gleichschritt nimmt das Verkehrsaufkommen ebenfalls deutlich zu und wir benötigen mehr Zeit, um uns jeden Morgen und Nachmittag den Weg durch die Stadt zu bahnen. Der Regen nimmt ebenfalls an Fahrt auf und es gibt Tage, an denen es durchgehend regnet. Ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen …

Gedanken zur Arbeit in medizinischen Entwicklungsprojekten

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben. (Alexander von Humboldt)

Während meiner Vorbereitung habe ich verschiedene Gespräche geführt. Einige Gesprächspartner wiesen mir deutlich die Grenzen dieses Kurzeinsatzes auf. Dabei waren diese Gespräche für mich nie demotivierend – im Gegenteil: Sie halfen mir stets, mich (und die Sinnhaftigkeit des Einsatzes) zu hinterfragen.

Oftmals haben gesellschaftlich engagierte Menschen in unserer Bevölkerung den Ruf naiv und weltfremd zu sein. Nicht zuletzt hört man immer wieder das Argument, dass es in Deutschland ebenfalls genug arme Menschen gibt und dass man diesen Menschen wohl auch zuerst helfen sollte, bevor man in ein kulturell fremdes Land fährt. Hinzu kommen fehlgeleitete Weltverbesserer 1 und Freiwilligenorganisationen 2, die junge Menschen mit der richtigen Einstellung aber ohne passende Ausbildungen in ferne Länder schicken.

Der unerwartete Verlauf des vergangenen Wochenendes hatte erneut viele lehrreiche Auszüge über Entwicklungsarbeit für mich parat. Nachdem ich bereits mit verschiedenen Organisationen in Tansania und Südafrika in Kontakt getreten bin, traf ich hier eine neue Institution, die Kirche.

Um der Großstadt Dhaka zu entfliehen bereisten wir am Wochenende die Teeregion Sylhet. Etwas zufällig landeten wir dabei im Wohnsitz des hiesigen Bischofs, der uns den ehemaligen Leiter der Caritas Bangladesch zur Seite stellte, um uns die Region näher zu bringen. Er erklärte uns eindrücklich und beispielhaft, wie hier verschiedene Organisationen ( z.B. Caritas, Diakonie, Kinderhilfswerk) Bildungs- und Gesundheitsprojekte fördern, die messbare Erfolge hervorbringen. Im Gegensatz zu meinen chaotischen, unstrukturierten und ungeplanten Eindrücken des Lebens in Bangladesch werte ich die Erfolge als durchaus positiv und nachhaltig, auch wenn eine kritische Betrachtung vor dem Hintergrund der potenziellen Missionierung angebracht ist. Unsere Einladung erfolgte mit dem Ziel, die medizinische Lage der einheimischen (auch nicht christlichen) Bevölkerung in der Region zu verbessern. Wir werden gebeten, uns ein Krankenhaus anzugucken und potentielle Berührungspunkte mit unseren Projekten in Bangladesch auszuloten. Über die Ausrichtung der German Doctors haben wir natürlich keine Weisungsbefugnis. Einen Vorschlag können wir unserer ärztlichen Leitung aber in jedem Fall unterbreiten.

Medizinische Entwicklungshilfe

Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten und Ebenen der medizinischen Entwicklungshilfe. Als Arzt im Projekt der German Doctors wird der Fokus auf basismedizinische Leistungen gelegt. Ähnlich dem Hausarzt in Deutschland. Für die weiterführende Behandlung bei schwerwiegenden Erkrankungen überweisen wir an die regionalen Gesundheitseinrichtungen. Die German Doctors sind in ihren Projekten langfristig und durchgängig vor Ort. Dabei sind es häufig Einzelschicksale, die wir täglich beeinflussen können.

Einen anderen Ansatz verfolgt die sehr bekannte Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF). Hier wird besonders medizinische Hilfe in Krisenregionen (z.B. Kriege und Umweltkatastrophen) angeboten. Darüber hinaus gibt es viele lokale Kooperationen von Krankenhäusern, die für Kurzprojekte (wenige Wochen) regelmäßig in Entwicklungsländer fahren, um dort schwierige Operationen anzubieten oder moderne Behandlungsmethoden zu etablieren (z.B. Charité 3 , Kieler Ärzte für Afrika 4) und/oder die einheimische Bevölkerung zu schulen. Hinzu kommen dann die bereits angesprochenen NGOs (WHO, Unicef, Amnesty International, MSF), die von unterschiedlichen Trägern meist langfristige Entwicklungsprojekte vor Ort fördern. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht durch kleine regionale Projekte bewirken. Medizinische Verbesserungen werden sich nur durch flächendeckende Krankenversicherungen, die Ausbildung von lokalem Personal und der Schaffung von medizinischer Infrastruktur in unseren Projektländern bewirken lassen.

Ich möchte euch mit diesem Blog an der Arbeit in einem medizinischen Gesundheitsprojekt in einem der ärmsten Länder der Welt teilhaben lassen. Wenn ihr die Beiträge anregend findet, dann sprecht mit euren Freunden über eure Meinungen zu diesem Thema oder teilt die Inhalte in den sozialen Medien. Es soll hier der Versuch unternommen werden, eine Diskussion anzuregen und ein gesellschaftliches Bewusstsein zu aktivieren.

Vielen Dank für euer Interesse.

Erster Wochenbericht

Der erste Arbeitstag startet mit einem vertrauten Patientenklientel, einem Kind. Es wiegt mit 18 Monaten nur 7500g. In Gedanken fülle ich bereits die Einweisung ins örtliche Krankenhaus aus, jedoch befindet sich der mittlere Armumfang (MUAC) noch im „gelben“ Bereich. Bei der Anamnese stellen wir fest, dass die Mutter weiterhin nur Brei und Muttermilch, ohne feste Nahrung verabreicht. Wir geben ausdrückliche Ernährungshinweise und verabreden uns mit Nachdruck für die nächste Woche zur erneuten Gewichtsmessung. Wir sind gespannt, ob wir den Jungen wiedersehen. Anschließend entschließen sich die örtlichen Polizisten reihenweise, uns ihre Krankengeschichten zu erzählen. Es handelt sich häufig um Bauchschmerzen, die wir auf eine Gastritis zurückführen. Dann bleibt die Ambulanz leer. Auf Grund der Feiertage ist das Patientenaufkommen sehr beschränkt.

Wir essen Mittag und fahren anschließend zur nächsten Sprechstunde. Hier springt einem erneut das Müllproblem ins Auge, denn die Zufahrtsstraße wird ebenfalls als Müllhalde benutzt. Die Patientenzahl ist auch hier ernüchternd. Nach kurzem Warten meldet sich die erste Patientin doch an. Wir entschließen uns kurzerhand für einen Spaziergang durch das Viertel, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Zuschauer lassen nicht lange auf sich warten und eine Traube von Schaulustigen begleitet uns. Wir kehren zu einem vollen Wartezimmer zurück. Ich sehe einen Patienten mit einem großen Abszess am Fuß. Der Patient weigert sich entschieden, dass ich den Abszess mit einem Skalpell spalte und so drücke ich beim Säubern „versehentlich“ das ein oder andere Mal sehr stark. Es entleert sich reichlich Eiter. Der Patient muss nun mit seiner provisorischen Entleerung und einem Antibiotikum leben. Ich hoffe für ihn, dass sich die Entzündung nicht weiter ausdehnt.

Der nächste Patient ist sehr krank. Er wiegt nur noch 35kg und er erzählt mir, dass er bis vor einem Monat Medikamente zur Tuberkulose-Behandlung einnehmen musste. Hier stoßen wir leider an unsere medizinischen Grenzen. Wir füllen eine Einweisung in das lokale Krankenhaus aus, wo Tuberkulose-Patienten kostenlos therapiert werden können.

Im Anschluss daran steht plötzlich ein Reporterteam in unserer Ambulanz! Nach ein paar Worten mit unseren Übersetzern führen wir plötzlich ein Fernsehinterview. Wer wir sind und welcher Organisation wir angehören möchte der Reporter wissen. Am Ende fragt er noch, ob wir auch Straßenkinder behandeln und dann ist das Interview vorbei. So endet der erste Tag. Wieso wir erst keine Patienten hatten und im Anschluss ein TV-Team in unserer Ambulanz stand, lässt mich verwundert auf den Tag zurückblicken.

Am zweiten Tag fahren wir wieder in eine andere Region Dhakas. In einem Schuppen eines Rikscha-Parkplatzes werden wir heute Patienten behandeln. Zum ersten Mal gibt es langanhaltenden Regen, der anscheinend auch unsere Patienten von einem frühen Besuch bei uns abhält. Nach dem Regen klettern anschließend die Patientenzahlen. Aufgrund der schweren Arbeit kommen viele Menschen mit Schmerzen, Schwäche und Schwindel zu uns. Zudem sehe ich mehrere Kinder mit Vitaminmangelerscheinungen und Scabies-Erkrankungen (Krätze).

Am nächsten Tag warten zum ersten Mal Patienten auf unsere Ankunft. Eine der Schwestern gibt vor dem Start eine Unterrichtseinheit für die wartenden Patienten. Dabei geht es heute um das wichtige Thema Impfungen. Anschließend beginnen wir unsere Arbeit. Neben chronischen Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Diabetes sehe ich auch viele Kinder und Erwachsene mit Pilzerkrankungen, die auf schlechte hygienische Bedingungen in der tropischen Region hinweisen (Tinea corporis, Pityriasis vesikulosa).

Am Nachmittag bieten wir eine Sprechstunde in unserem Wohngebäude an. Auch hier sind wieder jede Menge Patienten, die auf eine ärztliche Konsultation warten. Mein Highlight ist ein sieben Monate alter Säugling, der vor 5 Tagen !!! vom Bett gefallen ist. Seine Kopfform erinnert seitdem mehr an einen eingedrückten Tischtennisball. Neurologisch ist der Kleine jedoch wohlauf und er scheint unbeeindruckt. Ich führe eine Ultraschalluntersuchung seines Schädels durch, um eine Hirnblutung auszuschließen. Auch hier sehe ich keine Anzeichen für innere Verletzungen, sodass das Kind wohl ohne Schaden davongekommen ist.

Am Nachmittag entschließen Johanna und ich uns, die Gegend zu Fuß zu erkunden. Nach ein paar Schritten auf der Hauptstraße werden wir von einer Schar Kinder begleitet, die sich im Englisch-Sprechen üben. Mit unseren einfachen bengalischen Floskeln rufen wir viel Heiterkeit und Gelächter hervor. Die Leute sind allesamt sehr freundlich und immer wieder finden sich englischsprachige Bengalen, die einem etwas erklären wollen. Unsere Tour endet am Ende eines Flusses, wo sich ein riesiger Müllberg auftürmt und uns der Gestank zum Umkehren überredet. Unsicher haben wir uns hier zu keiner Zeit gefühlt.

Die Woche endet mit einer Sprechstunde in einer sehr armen Slumregion. Hier wohnen die Menschen sehr nah an den örtlichen Bahnschienen. Immer wieder donnern große Reisezüge an uns vorbei, während wir die Region besichtigen, um unser Projekt bekannter zu machen. Ich behandle eine Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist. Außer der Gabe von Schmerzmitteln und dem Rat, sich an örtliche Behörden oder Hilfsorganisationen zu wenden, können wir leider nichts für sie tun.

Damit ist die erste Woche im Dienste der German Doctors geschafft. Exotische aber auch vertraute Erkrankungen konnte ich in dieser Zeit behandeln. Am Wochenende verlassen wir Dhaka, um in die Region Sylhet zu reisen. Die Erlebnisse dort reichen für ein eigenes komplettes Kapitel. So endet die Woche, wie sie begann, mit einem Kopf voller Gedanken.

Ankunft und erste Erlebnisse

Nach dem langen Flug über Istanbul wieder Boden unter den Füßen zu haben, ist für mich ein Segen. Ich nehme meinen Reiserucksack, überstehe die misstrauischen Blicke des Einreisepolizisten, bin dann glücklich, dass er doch nur über Fußball reden möchte und dann bin ich in Dhaka! Naja gut, zumindest in der Empfangshalle des Flughafens, wo mich mein Projektkoordinator mit Fahrer erwarten soll. Ich mustere eindrücklich diverse Schilder, die den wenigen westlichen Besuchern prompt unter die Nase gehalten werden aber mein Name ist nicht zu sehen. Nach ein paar erfolglosen Anrufen bei den Notfallnummern, meldet sich der Koordinator bei einem Sicherheitsbeamten und mit großer Erleichterung habe ich die Gewissheit, nicht selbstorganisiert zur Unterkunft fahren zu müssen.

Meine Ankunft fällt genau auf das Ende des Ramadans (Eid ul Fitr Fest). Ich habe also Glück. Vom angekündigten Dauerstau sehe ich erstmal nichts. An Bussen, Rikschas, CNG (motorisierte Rikschas) vorbei, düsen wir durch das obligatorische Hupkonzert bis zu unserer Wohnung. Ich leuchte dem Guard unseres Hauses den Weg im dunklen Treppenhaus, denn es herrscht aktuell Stromausfall.

Erschöpft falle ich ins Bett. Hier ist der Tag bereits angebrochen, mein Biorhythmus zeigt jedoch aktuell auf 3 Uhr nachts. Ich will eigentlich schlafen, bin jedoch voller Eindrücke und begebe mich erstmal auf Erkundungstour. Die Wohnung ist spartanisch aber eher westlichen Standards entsprechend eingerichtet. Die drückende Hitze, der Lärm und der Gestank will sich auch mit Ventilatoreinsatz nicht vertreiben lassen. Nach einem ordentlichen Erdnussbutter-Frühstück übermannt mich schlussendlich doch die Müdigkeit und ich schlafe ein.

Am Nachmittag entdecke ich mit Freude die Dachterrasse. Mir fällt auf, dass wir mit Ziegen, Hunden, Katzen und Vögeln noch weitere Nachbarn haben, die in der Müllkippe/Straße nebenan nach Nahrung suchen. Plötzlich ziehen Regenwolken auf, sie tauchen den Himmel in ein wunderschönes dämonisches Licht. Es fängt an zu regnen. Ich freue mich auf mein erstes Monsunerlebnis, doch es nieselt nur. Nach 10 Minuten ist der letzte Tropfen gefallen. Den Rest des ersten Tages verbringe ich auf der Terrasse und der Verarbeitung des selbigen.

Am nächsten Tag treffe ich mittags meine Kollegin Johanna, die bereits 4 Wochen Dhaka-erprobt ist. Gemeinsam mit Laura aus dem Chittagong-Projekt der German Doctors, fahren wir mit einem CNG in die Stadt. Hier ist die Orientierung erstmal nicht sehr leicht. Doch viele Einheimische (und Lauras GPS-Navigation) helfen uns doch, ein paar Sehenswürdigkeiten ausfindig zu machen. Beeindruckend wirken auf mich besonders die unzähligen kleinen Boote und riesigen Schiffe (Launches) auf dem Buriganga-River. Auch wenn hier noch das Eid-Fest gefeiert wird, so herrscht hier schon reger Betrieb. Zu dritt sind wir hier eine kleine Sensation (Weiße sehen wir hier nicht) und unsere Gesichter werden an diesem Tag auf vielen Handys verewigt.

Am nächsten Tag starten wir in die Arbeitswoche bei den German Doctors in Dhaka. Dazu später mehr.

German Doctors

Der German Doctors e.V. ist eine international tätige Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitz in Bonn. Die Organisation entsendet weltweit unentgeltlich arbeitende Ärzte in Projekte auf die Philippinen, Indien, Bangladesch, Sierra Leone und Kenia. Seit 1983 wurden mehr als 7.000 Hilfseinsätze mit mehr als 3.200 Medizinerinnen und Medizinern durchgeführt.

Die German Doctors setzen sich in ihren Projekten für ein Leben in Würde ein, indem sie sich um die Gesundheitsversorgung benachteiligter Menschen in den Einsatzregionen kümmern. Außerdem beugen sie präventiv durch Ernährungsprogramme und Hygieneschulungen Krankheiten vor. Ein wichtiger Schwerpunkt vor Ort ist die Schulung und Weiterbildung lokaler Ärzte und Gesundheitsarbeiter. Die Organisation gewährt allen Menschen ohne Ansehen von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen vor allem medizinische Hilfe. 1

 

Dhaka

Dhaka und Bangladesch

Dhaka ist die Hauptstadt der Volksrepublik Bangladesch. Mit ca. 20 Millionen Einwohnern im Agglomerationsraum gehört die Region um Dhaka zu den am dichtesten besiedelten Orten unserer Erde 1. Die Stadt liegt im Zentrum von Bangladesch, in Mitten eines riesigen Deltas der Abflüsse der mächtigen asiatischen Ströme Brahmaputra und Ganges.

Dhaka liegt in den Subtropen, weshalb man in Regen- und Trockenzeiten unterscheidet. Die gesamte Region ist sehr flach und sie befindet sich nur 6m über dem Meeresspiegel, was erhebliche klimatische Auswirkungen für die Bevölkerung mit sich bringt. Das Wasser ist für Bangladesch Segen und Fluch zugleich. Einerseits arbeiten ca. 50% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, denn durch die günstige Deltalage lassen sich mehrere Ernten pro Jahr erzielen (wichtige Produkte sind Reis, Tee und Jute). Auf der Anderen Seite kommt es während der Monsunzeit regelmäßig zu erheblichen Überschwemmungen. Besonders die südlichen Regionen Bangladeschs im fruchtbaren Delta sind von wiederkehrenden Klimakatastrophen betroffen.

Durch die Zerstörung der landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen zieht es immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit in den Großraum Dhaka. Hier kommt es daraufhin zu einer massiven Überlastungen der städtischen Infrastruktur. Stau, Smog, Schadstoffbelastungen, schlechte hygienische Bedingungen, Trinkwassermangel und Stromausfälle sind die Folge.

Der Hauptteil der Bevölkerung sind Muslime (ca. 90%), dazu kommen weitere Gläubige, wie Hindus, Buddhisten und Christen, die Minderheiten bilden. 2

In den vergangenen Jahren verzeichnete Bangladesch ein stabiles Wirtschaftswachstum (5-6%) und Fortschritte bei der Armutsbekämpfung und dem Erreichen der Millennium Development Goals der Vereinten Nationen. Besonders die Textilindustrie leiste einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsleistung. 3 Neben den Erfolgen müssen jedoch auch die Schattenseiten dieser Entwicklungen betrachtet werden. So war Bangladesch in den Vergangenheit wegen fehlender Arbeitsschutzbedingungen, Bränden und Fabrikgebäudeeinstürzen in der Kritik der westlichen Medien. 4 Die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Textilmarkt wird besonders auf Kosten des Lohnniveaus erzielt. 5 So arbeiten vielen Menschen in Dhaka als Tagelöhner zu einem Niedriglohn, ohne staatliche Absicherungen wie Kranken- oder Rentenversicherungen.

German Doctors vor Ort

Die German Doctors betreiben seit 1989 ein Projekt in Dhaka. Zwei Ärzte arbeiten dort gleichzeitig ehrenamtlich für jeweils 6 Wochen. Täglich werden Fahrten in verschiedene Slumgebiete Dhakas unternommen, wo wir, unterstützt von den einheimischen Übersetzern und Fahrern, wie in einer deutschen Hausarztpraxis/Ambulanz arbeiten. Dabei sind wir besonders auf ein gründliches Anamnesegespräch und eine körperliche Untersuchung angewiesen. Aufgrund der widrigen Lebensbedingungen unserer Patienten ergeben sich häufige Konsultationsgründe wie Atemwegs- und Hauterkrankungen, Magen-Darm-Infektionen und Mangelernährungen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Projektarbeit ist die Unterstützung von Slumschulen, die in der Nähe unserer Einsatzgebiete liegen. 6