Sechster Wochenbericht

Die letzte Woche meines Einsatzes für die German Doctors ist nun schon angebrochen. Auf Abschiedstour geht es noch ein letztes Mal zu allen Standorten. Und auch von vielen Patienten, die man über diesen Zeitraum regelmäßig gesehen hat, muss ich mich jetzt verabschieden.

Am Montag gibt es wieder eine Vielzahl von Patienten, die ihre tägliche Dauermedikation bei uns abholen. Darunter auch wieder einige Patienten, die seit Wochen nicht bei uns waren und dann zwischendurch keine Medikamente genommen haben. Daran muss man noch arbeiten. Allerdings ist der Wille erkennbar. Zudem stellten sich wieder sehr viele Patienten mit Rücken- und Knieschmerzen vor. Ein Kind mit Fieber und starker Unterernährung musste ich wieder in das lokale Krankenhaus einweisen. Das Feedback der Mutter war wiederum ernüchternd. Wir bieten ihr eine nicht ideale aber immerhin eine Therapieoption für zu Hause an. So werden wir ihr alle Medikamente mitgeben und sie bitten, sich in einer Woche wieder vorzustellen. So haben wir wenigstens die Chance, das Kind regelmäßig zu sehen.

Nebenbei regnet es am Vormittag für ca. zwei Stunden recht stark. Als wir dann mit dem Auto zu unserem zweiten Ort fahren wollen, gelangen wir in eine stark überflutete Straße. Nur wenige Stunden Regen haben zu diesem Schauspiel geführt. Es wird plötzlich deutlich, wie sehr eine Kanalisation fehlt. Unser Fahrer manövriert uns geradewegs in den Ozean, wo bereits einige Autos liegen geblieben sind oder durch die Gegend schwimmen und sich Rikschas durch das Wasser kämpfen. Von den Wassermassen beflügelt gewinnt auch der Müll an Freiheit. Plastiktüten, Essensreste und allerhand Trödel schweben durch die Gegend. Sie verfangen sich anschließend in Rädern, Stoßstangen, Auspuffanlagen, Beinen und allem, was sich noch den Weg durch das Wasser bahnen möchte. Wir bleiben einfach stehen und warten. Zum Glück sitzen wir erhöht. Im seitlichen Türraum beobachte ich, wie sich das braune Wasser seinen Weg auch in unser Auto bahnt. Wir warten weiter, worauf genau weiß ich nicht. Ich nutze die Zeit für eine kleine Fotosession. Nach ca. einer Stunde kommt dann ein Polizist, der uns mit seinem Knüppel klar macht, dass wir endlich mal weiterfahren sollten. Unser Fahrer legt den Gang ein und der Motor heult auf. Anschließend schiebt unser kleiner Transporter die Wassermassen wie ein großer Ozeandampfer vor sich her. Als wir an unserer zweiten Außenstelle ankommen, ist auch hier alles überflutet. Da auch die Patienten bei diesem Wetter nicht den Weg zu uns gefunden haben, beschließen wir den Rückweg anzutreten.

Am kommenden Tag wartet schon ein älterer lustiger Geselle vor unserer Ambulanz. Er zeigt mir stolz seinen Wackelzahn. Viel mehr Zähne waren auch gar nicht mehr vorhanden. Anschließend hat er noch versucht einen möglichst günstigen Preis für seine Prozedur auszuhandeln. Wir mussten ihn dann leider auf einen Besuch beim Zahnarzt vertrösten. Ein paar Stunden später stellt sich eine Mutter mit ihrem dreijährigen fiebernden Kind vor. Die Augen des Kindes weisen eine deutliche Gelbfärbung auf (Ikterus). Durch die dunkle Hautfarbe sieht man die Gelbfärbung eher schlecht. Die Mutter überreicht mir aktuelle Laborwerte, die erhöhte Leberwerte und eine Blutarmut (Anämie) anzeigen. Wir tippen auf eine akute Hepatitis und als Alternative auf eine Malariaerkrankung. Zu Diagnosestellung wollen wir das Kind in das lokale Krankenhaus einweisen. Weil die Mutter dies aber ablehnt, fülle ich einen großen Zettel mit weiteren Labortests aus, die uns helfen könnten, die Diagnose und Prognose der Erkrankung festzulegen. Kurz darauf sind wir wieder in unsere Sprechstunde vertieft, als sich plötzlich auf unserer Straße eine Menschentraube bildet. Neugierig will ich einen Blick riskieren. Es wird reichlich diskutiert. Ein paar Frauen weinen. Dann sehe ich einen jungen Mann, der getragen von zwei Menschen vor Schmerzen stöhnt. Mir wird berichtet, dass er Opfer eines Verkehrsunfalls geworden ist. Ein Bus hatte ihn und seine Rikscha erfasst und zu Boden geworfen. Seit dem Unfall ist reichlich Zeit vergangen. Auch jetzt reden noch alle wie wild durcheinander, es wird gestikuliert und gestritten. Nur eine Entscheidung wird nicht getroffen. Ich untersuche den Patienten orientierend. Er ist kreislaufstabil und es gibt auf den ersten Blick keine offenen Verletzungen. Er deutet starke Schmerzen seines linken Oberschenkels an. Dann unterbrechen wir die vergeblichen Diskussionen. Wir bitten unseren Fahrer unser Auto vorzufahren. Kurzerhand wird der Patient eingeladen. Mit einem Mitarbeiter unseres Teams und zwei Angehörigen bringen wir ihn in die örtliche Notaufnahme, wo er gleich versorgt wird. Leider habe ich am Ende nicht erfahren, wie es mit ihm weiter ging.

Am Mittwoch sehe ich wieder ein typisches Phänomen, das nicht immer leicht zu durchschauen ist. Eine kleine Familie stellt sich bei mir vor. Sie sind allesamt gut gekleidet, die Mädchen tragen Kleidchen. Leider zeichnen ihre Erkrankungen ein anderes Bild von ihren Lebensumständen. Pilzerkrankungen, Vitamindefizit und Unterernährung deuten auf fehlende hygienische Maßnahmen und eine Mangelernährung hin. Am Nachmittag kommt dann eine Mutter mit ihrem 15-jährigen Sohn zu mir in die Sprechstunde. Er leidet unter Husten und Schnupfen, was bei unserer allgemeinmedizinischen Arbeit wahrlich keine Seltenheit darstellt. Nur ist etwas anders bei diesem Duo. Sie verständigen sich mit einer Art Zeichensprache. Die Aussprache des Jungen ist sehr undeutlich und verwaschen. Ich erfahre, dass dies schon immer so der Fall war. Richtig sprechen hat der Junge nie gelernt. Er besitzt jedoch die Fähigkeit, Laute zu formulieren und auch auf sehr lautes Zurufen reagiert er adäquat. Vielleicht könnte hier die Verwendung von Hörgeräten schon einen wichtigen Beitrag leisten. Leider bleibt diese Chance ungenutzt.

Damit ist der letzte Arbeitstag angebrochen. Meine letzte Sprechstunde halte ich dort ab, wo ich vor einer Woche nur noch einen Zustand kannte – Schwitzen. Es gibt wieder eindrückliche Fälle von Kindern mit Scabies zu sehen, wobei sich die vielen kleinen Wunden an den Füßen ordentlich entzündet haben und mir der Eiter ins Blickfeld springt. Auch das kleine Mädchen nach ihrem Autounfall kommt zur Wundkontrolle. Ich hatte sie schon bei der Ankunft mit den anderen Kindern draußen beim Spielen beobachtet. Von einem Verband jedoch keine Spur mehr. Leider sieht die Wunde auch dementsprechend aus. Man erkennt einen Heilungsprozess. Auf der Verletzung hat sich jedoch ein Mix aus Eiter und Staub zu einer klebrigen Kruste verbacken. Ich befürchte, dass hier eine deutliche Narbe zurückbleiben wird. Ich reinige die Wunde so gut es geht und wir arbeiten erneut mit einem Verbandersatz, um den Vater nicht zu verärgern. Dann verlässt meine letzte Patientin unsere Ambulanz.

Ein weiteres Kapitel geht für mich zu Ende. Jetzt heißt es Abschied von den Menschen hier nehmen, mit denen man so intensiv seit sechs Wochen zusammengearbeitet hat. Dabei bin ich dankbar für die unglaublichen Erfahrungen, die ich hier sammeln durfte. Diverse Eindrücke müssen noch verarbeitet werden. Dann wird sich auch die Zeit finden, hier ein kleines Fazit zu schreiben.

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