Fazit des Einsatzes mit den German Doctors

Dhaka – Eine Stadt im Wandel

Viel gibt es über diese Stadt im Herzen Bangladeschs zu berichten. Die Unterschiede zu einem Leben in Deutschland sind unvorstellbar. Da ist zum einen das riesige Müllproblem. Der Gestank ist omnipräsent und mit jedem Atemzug bahnen sich der Gestank von vergorenen Lebensmitteln, toten Tieren und Exkrementen den Weg in unsere Lungen. Der Verkehr verschmilzt zu einem ungeordneten riesigen Stau-Ungeheuer. Es gibt keine klaren Verkehrsregeln, die das Vorankommen bei uns so effektiv und sicher gestaltet. Überholen ist unter dauerhafter hupender Ankündigung jederzeit und von jeder Richtung möglich. Man wird an das einfache Gesetz des Stärkeren erinnert, wenn man mit seinem Minivan den großen LKWs und Bussen ausweichen muss, Rikschas und CNGs (größere motorisierte dreirädrige Fahrzeuge) aber gleichzeitig gegen uns zurückziehen müssen. Der Verkehr führt zu einem hohen Schadstoff- und Lärmlevel. Er fordert jährlich unzählige unnötige Unfall-  und Todesopfer. Die Fehlende Kanalisation verwandelt in der Regenzeit viele Straßen zu Flüssen. Das Wasser nimmt den Müll auf und trägt ihn in die Häuser der armen Bevölkerung.

Die Religion hat einen sehr hohen Stellenwert im täglichen Leben. Mit dem Sonnenaufgang (ca. vier Uhr) ruft der Muezzin zum ersten Gebet des Tages. Insgesamt beten Muslime fünf mal täglich. Die Familie ist das wichtigste Element der Gemeinschaft. Im täglichen Leben haben Freizeitgestaltung, Kultur und Sport eine untergeordnete Rolle. Es wird sehr oft den ganzen Tag über (teilweise in mehreren Jobs) gearbeitet. Dabei sind die Arbeitsherausforderungen nicht mit unserer komplexen Arbeitswelt vergleichbar. Das Frauenbild ist um ganze Entwicklungsepochen hinter dem in Europa zurück. Nur wenige Frauen gehen arbeiten. Zum großen Teil obliegt ihnen die Versorgung der Kinder und der Haushalt.

Und doch sieht man an jeder Ecke die tägliche Entwicklung dieser riesigen Metropole aufblitzen. Gigantische Müllberge verschwinden innerhalb von Wochen, Flüsse werden ausgebaggert, Abflussrinnen werden neben den Straßen ausgehoben und überall entstehen neue Häuser. Regiert wird das Land aktuell von einer Frau. Scheich Hasina Wajed ist die Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman. Mit stetigem hohem Wirtschaftswachstum kommt gleichzeitig die Chance auf eine konstante Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Etablierung einer Grundbildung, die Bekämpfung von Korruption, Vetternwirtschaft und Veruntreuung sowie die Stabilisierung der Wahl- und Pressefreiheit sind die Herausforderungen der Zukunft. So wird jede Generation in einem neuen Bangladesch leben.

Die medizinische Arbeit als German Doctor

Die German Doctors haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Ärmsten der Armen zu helfen. Dabei ist die Arbeit basismedizinisch und damit ähnlich zu den Arbeiten eines Hausarztes zu verstehen. Dementsprechend sah ich in meinem Einsatz viele Patienten mit Schmerzen jeglicher Art sowie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen. Auch chronische Erkrankungen wie Diabetes, COPD und Bluthochdruck werden von uns regelmäßig behandelt. Die Schulung der Patienten zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme stellt sich nicht nur in Bangladesch als Herausforderung dar. Hinzu kamen einige Besonderheiten, die durch die Armut und die Lebensbedingungen unserer Patienten zu erklären sind. Hier sind besonders unzählige Hauterkrankungen, wie Krätzmilben, Pilze und Wundentzündungen zu nennen. Darüber hinaus ist die Tuberkulose (siehe Woche eins, drei, vier, fünf) eine wichtige Differenzialdiagnose, die bei jedem Husten und Patient mit unerklärlichem Gewichtsverlust beachtet werden muss. Durch das scharfe Essen und eine häufige Besiedlung mit einem Magenkeim, der nur schwer zu behandeln ist, gibt es hier auch viele Menschen, die an häufigen Magenschmerzen leiden.

Ein wichtiger Unterschied in der Behandlung der Patienten spielt das hiesige Gesundheitssystem. Es gibt für viele Erkrankungen schlichtweg nur inadäquate Therapieoptionen (z.B. Rheumatisches Fieber, Morbus Parkinson, Tumorleiden). Hinzu kommt das Problem, dass es keine Krankenversicherung gibt. Dies schließt von Vornherein eine gezielte Diagnostik und Behandlung aus. Oft haben wir uns auch über eine unnötige Diagnostik und das Verschreiben von Medikamenten gewundert. Viele Patienten gehen vor dem Arztbesuch auch zuerst in eine Apotheke, wo sie ohne Rezept frei verkäuflich Antibiotika, Antidepressiva, Schmerzmittel und sogar Insulin beziehen können.

Persönliche Grenzen

Neben den medizinischen Grenzen werden einem im Einsatz auch gelegentlich die eigenen körperliche Grenzen aufgezeigt. Zur Regenzeit ist es drückend heiß mit täglichen Temperaturen von 30-40°C. Hinzu kommt der andauernde Regen, der für eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit verantwortlich ist. Schlafen ist nur mit einem laut summenden Ventilator erträglich, der gleichzeitig versucht, den andauernden Straßenlärm zu übertrumpfen. Bei häufigen Stromausfällen fällt der Ventilator jedoch ständig aus. Zu Allem, wozu man dann in der Lage ist, ist nur noch schwitzen. Schwitzen am Tag, schwitzen in der Nacht.

Für die Nahrungsaufnahme gibt es vor Ort eine einfache Regel: „cook it, boil it, peal it, or leave it“ – „koch es, siede es, pell es oder lass es sein. Und auch wenn ich während meiner vorherigen Reisen in ähnliche Regionen bereits gut mit dieser Regel zurecht kam, ereilte mich in Bangladesch doch zweimalig eine Reisedurchfallerkrankung. Das Problem, das sich mir in dieser Situation stellte, war nicht primär die Erkrankung, sondern eine anschließende adäquate Ernährung zur Genesung. Reis und Gemüse sind als Schonkost geeignet. Große Energielieferanten sind sie nicht.

Die tägliche Arbeit mit den Patienten macht sehr viel Spaß und ohne lästige Überdokumentation kann man in unserem Projekt gut klinisch arbeiten. Ernüchternd ist die Behandlung von komplexen Krankheitsbildern. Man trifft immer wieder auf Patienten, die auch hier einer guten Behandlung zugeführt werden könnten und bei denen es die Chance zur echten Lebensverbesserung geben könnte. Dann füllt man häufig eine Krankenhauseinweisung aus. Unserem Rat folgen die Patienten dann nur selten. Selbst bei kostenloser Behandlung (z.B. Einweisung bei Unterernährung) wird diese oft abgebrochen. Dabei sind eine fehlende Gesundheitsbildung sowie ein Mangel an Geld und Begleitpersonen (die Patienten werden teilweise von Angehörigen im Krankenhaus versorgt) zwar nachvollziehbare Gründe, wenn eine Familie eine lebenswichtige Behandlung für ihr Kind abbricht, dann empfindet man trotz alledem ein Frustgefühl.

Mein Dank für eine lehrreiche, glückliche, traurige, spannende, lustige, frustrierende, intensive, anstrengende, hoffnungsvolle und spannende Zeit in Bangladesch gilt unserem Medical Team vor Ort sowie allen Menschen, die dieses Projekt mit Ihrer Arbeit und Ihren Spenden nachhaltig unterstützen.

Vielen Dank !!!

Sechster Wochenbericht

Die letzte Woche meines Einsatzes für die German Doctors ist nun schon angebrochen. Auf Abschiedstour geht es noch ein letztes Mal zu allen Standorten. Und auch von vielen Patienten, die man über diesen Zeitraum regelmäßig gesehen hat, muss ich mich jetzt verabschieden.

Am Montag gibt es wieder eine Vielzahl von Patienten, die ihre tägliche Dauermedikation bei uns abholen. Darunter auch wieder einige Patienten, die seit Wochen nicht bei uns waren und dann zwischendurch keine Medikamente genommen haben. Daran muss man noch arbeiten. Allerdings ist der Wille erkennbar. Zudem stellten sich wieder sehr viele Patienten mit Rücken- und Knieschmerzen vor. Ein Kind mit Fieber und starker Unterernährung musste ich wieder in das lokale Krankenhaus einweisen. Das Feedback der Mutter war wiederum ernüchternd. Wir bieten ihr eine nicht ideale aber immerhin eine Therapieoption für zu Hause an. So werden wir ihr alle Medikamente mitgeben und sie bitten, sich in einer Woche wieder vorzustellen. So haben wir wenigstens die Chance, das Kind regelmäßig zu sehen.

Nebenbei regnet es am Vormittag für ca. zwei Stunden recht stark. Als wir dann mit dem Auto zu unserem zweiten Ort fahren wollen, gelangen wir in eine stark überflutete Straße. Nur wenige Stunden Regen haben zu diesem Schauspiel geführt. Es wird plötzlich deutlich, wie sehr eine Kanalisation fehlt. Unser Fahrer manövriert uns geradewegs in den Ozean, wo bereits einige Autos liegen geblieben sind oder durch die Gegend schwimmen und sich Rikschas durch das Wasser kämpfen. Von den Wassermassen beflügelt gewinnt auch der Müll an Freiheit. Plastiktüten, Essensreste und allerhand Trödel schweben durch die Gegend. Sie verfangen sich anschließend in Rädern, Stoßstangen, Auspuffanlagen, Beinen und allem, was sich noch den Weg durch das Wasser bahnen möchte. Wir bleiben einfach stehen und warten. Zum Glück sitzen wir erhöht. Im seitlichen Türraum beobachte ich, wie sich das braune Wasser seinen Weg auch in unser Auto bahnt. Wir warten weiter, worauf genau weiß ich nicht. Ich nutze die Zeit für eine kleine Fotosession. Nach ca. einer Stunde kommt dann ein Polizist, der uns mit seinem Knüppel klar macht, dass wir endlich mal weiterfahren sollten. Unser Fahrer legt den Gang ein und der Motor heult auf. Anschließend schiebt unser kleiner Transporter die Wassermassen wie ein großer Ozeandampfer vor sich her. Als wir an unserer zweiten Außenstelle ankommen, ist auch hier alles überflutet. Da auch die Patienten bei diesem Wetter nicht den Weg zu uns gefunden haben, beschließen wir den Rückweg anzutreten.

Am kommenden Tag wartet schon ein älterer lustiger Geselle vor unserer Ambulanz. Er zeigt mir stolz seinen Wackelzahn. Viel mehr Zähne waren auch gar nicht mehr vorhanden. Anschließend hat er noch versucht einen möglichst günstigen Preis für seine Prozedur auszuhandeln. Wir mussten ihn dann leider auf einen Besuch beim Zahnarzt vertrösten. Ein paar Stunden später stellt sich eine Mutter mit ihrem dreijährigen fiebernden Kind vor. Die Augen des Kindes weisen eine deutliche Gelbfärbung auf (Ikterus). Durch die dunkle Hautfarbe sieht man die Gelbfärbung eher schlecht. Die Mutter überreicht mir aktuelle Laborwerte, die erhöhte Leberwerte und eine Blutarmut (Anämie) anzeigen. Wir tippen auf eine akute Hepatitis und als Alternative auf eine Malariaerkrankung. Zu Diagnosestellung wollen wir das Kind in das lokale Krankenhaus einweisen. Weil die Mutter dies aber ablehnt, fülle ich einen großen Zettel mit weiteren Labortests aus, die uns helfen könnten, die Diagnose und Prognose der Erkrankung festzulegen. Kurz darauf sind wir wieder in unsere Sprechstunde vertieft, als sich plötzlich auf unserer Straße eine Menschentraube bildet. Neugierig will ich einen Blick riskieren. Es wird reichlich diskutiert. Ein paar Frauen weinen. Dann sehe ich einen jungen Mann, der getragen von zwei Menschen vor Schmerzen stöhnt. Mir wird berichtet, dass er Opfer eines Verkehrsunfalls geworden ist. Ein Bus hatte ihn und seine Rikscha erfasst und zu Boden geworfen. Seit dem Unfall ist reichlich Zeit vergangen. Auch jetzt reden noch alle wie wild durcheinander, es wird gestikuliert und gestritten. Nur eine Entscheidung wird nicht getroffen. Ich untersuche den Patienten orientierend. Er ist kreislaufstabil und es gibt auf den ersten Blick keine offenen Verletzungen. Er deutet starke Schmerzen seines linken Oberschenkels an. Dann unterbrechen wir die vergeblichen Diskussionen. Wir bitten unseren Fahrer unser Auto vorzufahren. Kurzerhand wird der Patient eingeladen. Mit einem Mitarbeiter unseres Teams und zwei Angehörigen bringen wir ihn in die örtliche Notaufnahme, wo er gleich versorgt wird. Leider habe ich am Ende nicht erfahren, wie es mit ihm weiter ging.

Am Mittwoch sehe ich wieder ein typisches Phänomen, das nicht immer leicht zu durchschauen ist. Eine kleine Familie stellt sich bei mir vor. Sie sind allesamt gut gekleidet, die Mädchen tragen Kleidchen. Leider zeichnen ihre Erkrankungen ein anderes Bild von ihren Lebensumständen. Pilzerkrankungen, Vitamindefizit und Unterernährung deuten auf fehlende hygienische Maßnahmen und eine Mangelernährung hin. Am Nachmittag kommt dann eine Mutter mit ihrem 15-jährigen Sohn zu mir in die Sprechstunde. Er leidet unter Husten und Schnupfen, was bei unserer allgemeinmedizinischen Arbeit wahrlich keine Seltenheit darstellt. Nur ist etwas anders bei diesem Duo. Sie verständigen sich mit einer Art Zeichensprache. Die Aussprache des Jungen ist sehr undeutlich und verwaschen. Ich erfahre, dass dies schon immer so der Fall war. Richtig sprechen hat der Junge nie gelernt. Er besitzt jedoch die Fähigkeit, Laute zu formulieren und auch auf sehr lautes Zurufen reagiert er adäquat. Vielleicht könnte hier die Verwendung von Hörgeräten schon einen wichtigen Beitrag leisten. Leider bleibt diese Chance ungenutzt.

Damit ist der letzte Arbeitstag angebrochen. Meine letzte Sprechstunde halte ich dort ab, wo ich vor einer Woche nur noch einen Zustand kannte – Schwitzen. Es gibt wieder eindrückliche Fälle von Kindern mit Scabies zu sehen, wobei sich die vielen kleinen Wunden an den Füßen ordentlich entzündet haben und mir der Eiter ins Blickfeld springt. Auch das kleine Mädchen nach ihrem Autounfall kommt zur Wundkontrolle. Ich hatte sie schon bei der Ankunft mit den anderen Kindern draußen beim Spielen beobachtet. Von einem Verband jedoch keine Spur mehr. Leider sieht die Wunde auch dementsprechend aus. Man erkennt einen Heilungsprozess. Auf der Verletzung hat sich jedoch ein Mix aus Eiter und Staub zu einer klebrigen Kruste verbacken. Ich befürchte, dass hier eine deutliche Narbe zurückbleiben wird. Ich reinige die Wunde so gut es geht und wir arbeiten erneut mit einem Verbandersatz, um den Vater nicht zu verärgern. Dann verlässt meine letzte Patientin unsere Ambulanz.

Ein weiteres Kapitel geht für mich zu Ende. Jetzt heißt es Abschied von den Menschen hier nehmen, mit denen man so intensiv seit sechs Wochen zusammengearbeitet hat. Dabei bin ich dankbar für die unglaublichen Erfahrungen, die ich hier sammeln durfte. Diverse Eindrücke müssen noch verarbeitet werden. Dann wird sich auch die Zeit finden, hier ein kleines Fazit zu schreiben.

Vierter Wochenbericht

Meinen letzten Wochenbericht habe ich mit den Erfahrungen geschlossen, dass wir auch gelegentlich schwer kranke Patienten mit Krankenhauseinweisungen in der nächsten Woche wiedersehen. Dass dies auch bei unserem stark unterernährten Kind der letzten Woche der Fall sein könnte, habe ich nicht für möglich gehalten. Meine vierte Woche beginnt jedoch leider genau mit diesem Vorfall.

Wir erfahren, dass die stationäre Behandlung bereits nach sechs Tagen abgebrochen wurde. Dabei hat sich die Familie aus privaten Gründen gegen den Rat der Ärzte selbst entlassen. Das Krankenhaus ist weit vom Wohnort der Familie in Dhaka entfernt. Die Familie ist neu in der Hauptstadt und sie haben keine Verwandten hier. Die Mutter ist selbst unterernährt und krank. Ich sehe, wie sie kraftlos versucht das schreiende Kind zu beruhigen. Viel Frustration und Resignation lese ich in ihrem Gesichtsausdruck. Sie möchte nicht allein im Krankenhaus mit ihrem Kind bleiben. Ich bin gelinde gesagt wirklich sprachlos. In Deutschland würde man in diesem Fall sicher eine einstweilige Verfügung wegen Kindeswohlgefährdung und eine Inobhutnahme durch das Jugendamt anstreben. Ich erkläre dem Vater nochmals in aller Deutlichkeit, dass das Risiko, erst sein Kind und anschließend seine Frau zu verlieren, angesichts dieser Befunde Realität werden könnte. Wir wollen eine Vermittlung an ein lokales Krankenhaus organisieren. Ich möchte zusätzlich zumindest versuchen, einen Sozialarbeiter für die Familie zur beschaffen. Kurz darauf verlassen sie rasch unsere Ambulanz. Die Übersetzer versichern mir, dass sie alle Vorbereitungen treffen möchten, um dann in einer Stunde wieder zu kommen und mit uns erneut ins Krankenhaus zu fahren. Es fällt mir schwer euch mitteilen zu müssen, dass wir in der Folge leider vergebens gewartet haben…

Anschließend kommt eine 32-jährige Patientin, die angibt, seit fünf Jahren an einer Diabetes-Erkrankung zu leiden. Laut eigener Aussage nimmt sie regelmäßig ihre Medikamente, die sie sich in einer Apotheke beschaffen kann. Der zunehmende Durst und der häufige Toilettengang stören sie in der letzten Zeit jedoch zunehmend. Wir schreiten zur Tat und zücken das Blutzuckermessgerät. Ich habe zwar noch keine lange Erfahrung in der Behandlung der Diabetespatienten, einen so hohen Wert habe ich jedoch auch noch nicht erlebt. Das Messergebnis ist mit 22,6 mmol/l doppelt so hoch, wie der maximale Grenzwert. Meine internistische Kollegin weist mich darauf hin, dass dieser Wert eine Krankenhausbehandlung mit kontrollierter Insulintherapie bedeutet. Ich folge ihrem Rat und fülle die Einweisung ins örtliche Krankenhaus aus.

Am Montag besichtigen wir zum ersten Mal den angrenzenden Slum unserer Ambulanz. Auch hier wohnen viele Menschen direkt an den Bahnschienen. Es gleicht einem Wunder, dass hier verhältnismäßig wenig Leute mit Verletzungen umherlaufen. Regelmäßig donnern Schnellzüge vorbei, die sich zwar durch lautes Hupen ankündigen aber zum Bremsen wäre es viel zu spät. Bei unserer Besichtigung fällt uns eine Mutter mit einem jungen Baby ins Auge. Sie erzählt uns, dass es zu früh geboren ist. Die Mutter leidet zudem an einer Tuberkulose und sie wiegt gerade einmal 30 kg. Wieder eine sehr ungünstige Kombination, die sich besonders drastisch auf ihr Neugeborenes auswirkt. Es liegt schlapp im Arm der Mutter. Unsere Schwester wiegt es und sie schreibt 2 kg in unser Untersuchungsheft. Ich denke, selbst diese Gewichtsangabe ist noch zu hoch. Die Haut des Babys ist dreckig, es atmet schwer und ich denke ebenfalls an eine zusätzliche Infektion. Wir weisen Mutter und Kind wieder in ein spezielles Krankenhaus für unterernährte Kinder ein. Ich denke wieder an das unterernährte Kind vom Vortag. Wut und Frustration mischen sich zu gleichen Teilen. Die nächsten Patienten warten schon.

Ein älterer Mann kommt in die Ambulanz gehumpelt. Auf seinem rechten Fuß befindet sich eine offene eitrige Wunde. Ein Gerüst ist vor zwei Tagen auf seinen Fuß gefallen. Jetzt ist er zudem noch angeschwollen. Eine Fraktur kann der Mann mit Sicherheit ausschließen. Ansonsten könne er ja nicht mehr laufen, versichert er mir. Neben einem Wundverband werden wir trotzdem ein Röntgenbild aufnehmen lassen, nur zur Sicherheit. Der nächste Patient bietet meinem Übersetzer doch einige Schwierigkeiten. Neben Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss, Schmerzen und tröpfchenweisem Urinabgang ist alles dabei. Ich veranlasse eine Urinuntersuchung und wir führen einen Ultraschall durch. Die Harnblase ist auch nach dem Wasserlassen noch gefüllt. Hier stellt sich ebenfalls eine unklare Masse dar. Ich tippe auf einen Prostata- oder Blasentumor. Nachdem ich dem Patienten die Befunde erklärt habe, eröffnet er uns, dass er schon im Krankenhaus war und die Ärzte ihm eine Operation nahegelegt haben. Vielleicht wäre diese Information ca. 20 Minuten vorher auch von Nutzen gewesen!? Teilweise wundert es uns aber schon, dass einige Patienten schon ausführliche Diagnostik genossen haben und dann trotzdem nochmals in unserer Ambulanz vorstellig werden.

Am Dienstag bittet uns mein Übersetzer nach der Arbeit noch auf einen Besuch in das nah gelegene private Krankenhaus zur „Visite“ eines noch sehr jungen Verwandten mitzukommen. Weil es sich dabei um eine Neugeborenenintensivstation handelt, ist der Besuch für mich gleich umso spannender. Das Baby ist gerade einmal sechs Wochen alt. In der vergangenen Woche begann es plötzlich mehrmalig zu krampfen. Die Ärzte vermuten eine Neugeboreneninfektion mit Beteiligung des Gehirns (Meningitis), weshalb sie eine antibiotische Therapie begonnen haben. Es wirkt befremdlich, dass es dann bei einer einfachen Diagnostik geblieben ist und beispielsweise Laborwerte nicht erneut kontrolliert wurden und keine Ultraschalluntersuchung des Gehirns durchgeführt wurde. Die Stationsärztin erklärt uns hierzu, dass man den Erfolg der Therapie am Beenden der Symptome ablesen kann. Ich fühle ein inneres Verlangen diverse weitere Untersuchungen durchzuführen. Sicherlich müssen immer die lokalen Behandlungsrichtlinien beachtet werden. Ich empfinde gerade hier eine Krankenhaus-Kooperation im Bereich der spezialisierten Medizin als sehr sinnvoll und nachhaltig. (siehe Gedanken zur Arbeit in einem medizinischen Entwicklungsprojekt). Dies sind hier jedoch nicht die Aufgaben der German Doctors.

An unserem arbeitsintensiven Mittwoch will die Warteschlange kein Ende nehmen. Von morgens bis abends werden wir in der Ambulanz sitzen. Dabei sehe ich unglaublich viele Hauterkrankungen, darunter allein 16 Mal einen Scabies-Befall, wobei nicht selten die gesamte Familie betroffen ist. Zum Tagesabschluss gibt es noch ein kleines seltenes pädiatrisches Highlight für mich. Ein Kind sitzt fröhlich auf dem Schoß der Mutter. Die starke Unterernährung scheint dem Mädchen nichts von ihrer Lebenslust genommen zu haben. Die kleine Patientin wird von der Mutter regelmäßig zur Gewichtskontrolle in unserer Ambulanz vorgestellt. Stetig aber langsam nimmt sie hier an Gewicht zu. Doch irgendwie wirkt der Schädel sehr quadratisch und an den Handgelenken finden sich merkwürdige Schwellungen. Mein Übersetzer konnte zum Glück diese Zeichen richtig deuten, denn ich habe in meinem Leben noch nie ein Kind mit Rachitis (Vitamin-D-Mangel) gesehen. Zur Vorbeugung verschreiben wir Kinderärzte in Deutschland eine tägliche Vitamin-D-Gabe im ersten Lebensjahr. Besonders durch die Mangelernährung (geringe Aufnahme von Milchprodukten mit hohem Calciumgehalt) und auch die mangelnde Sonneneinstrahlung z.B. bei verhüllten Frauen bekommt man in unseren Projekten gelegentlich auch diese Erkrankung noch zu Gesicht.

An unserem letzten Arbeitstag in dieser Woche beginnen wir, wie gewohnt mit einer kleinen Weiterbildung. Dabei bereiten wir Ärzte für unsere Mitarbeiter immer neue Themen vor. Heute geht es beispielsweise um den Herzinfarkt. Obwohl ich mich in der Lehre recht wohl fühle, stellen mich die Lehrveranstaltungen hier regelmäßig auf die Probe. Selbst bei unserem medizinisch vorgebildeten Personal fehlt es oft an wichtigen Grundlagen.

Kurz darauf wird es wieder ernst für uns. Wir müssen ein stark dehydriertes Kind behandeln. Das kleine Mädchen hat zudem sehr hohes Fieber bis 40°C. Wir möchten es sofort ins Krankenhaus bringen aber die Oma erzählt uns, dass die Mutter arbeiten ist und sie sich noch um die vier weiteren Geschwister kümmern muss. Wir müssen also improvisieren. Ich habe schon die Infusion vorbereitet, als das Kind plötzlich erwacht und einen großen Schluck aus unserem Becher nimmt. Wir funktionieren kurzerhand unser kleines Sprechzimmer in einen Behandlungsraum um. Die kleine Patientin wird unter einem Ventilator auf eine Trage gelegt. Das Fieber senken wir mit Paracetamol und sie erhält ein Antibiotikum. Die Mutter kommt dann anschließend doch noch zu Besuch. Sie wird nun neben uns sitzen bleiben und Schluck für Schluck den Wasserhaushalt ihrer Tochter wieder regenerieren. Am Ende des Arbeitstages sind wir froh, dass unsere Tagespatientin sogar noch ein paar Kekse zu sich genommen hat. Die Temperatur ist deutlich gesunken und auch die Farbe ist in ihr Gesicht zurückgekehrt. Die Mutter wird zu Hause weiter auf sie achten müssen. Ich hoffe, das Antibiotikum schlägt rasch an, damit sich diese Situation nicht mehr wiederholen kann.

Wir sehen in unseren Ambulanzen täglich viele Patienten, die wir routiniert therapieren können. Bei ein paar Patienten können wir einen Unterschied machen. Jedoch muss unsere Hilfe auch von ihnen angenommen werden. Diese Woche zeigte, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen hier sein können.

Zweiter Wochenbericht

Unsere Woche beginnt, nicht wie gewohnt am Montag, sondern am Sonntag. Im muslimisch geprägten Bangladesch ist der Freitag entsprechend dem christlichen Sonntag Ruhe- und Bettag.

Als einer der ersten Patienten stellt sich eine hochschwangere Frau mit Unwohlsein und Schwindel vor. Hier sind besonders Infektionen und Gestosen (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftungen) wichtige Differenzialdiagnosen, die es zu beachten gibt. Der Blutdruck liegt im grünen Bereich. Ein positiver Urinbefund bringt die entscheidenden Hinweise: Die Dame hat einen Harnwegsinfekt. Ich versuche mich als nebenberuflicher Geburtshelfer und halte den Schallkopf auf den prallen Bauch. Das Baby ist nicht zu übersehen. Die Mutti strahlt, als sie ihr Kind auf dem kleinen mobilen Ultraschallmonitor sieht. Ich empfinde den Herzschlag als regelmäßig und somit attestiere ich keinen kindlichen Stress. Auch die Fruchtwassermengen sehen adäquat aus. Bei der Darstellung des Geschlechts scheitere ich jedoch. Es wird eine Überraschung bleiben. Trotz Überredungsversuchen wird sie ihr Kind (so, wie bereits die ersten drei) ebenfalls zu Hause gebären. Auch wenn die Muttersterblichkeitsrate von Bangladesch mit 176 Todesfällen auf 100.000 Geburten 1 hoch erscheint (Vergleich Deutschland 6/100.000 Geburten, Daten von 2015 2), so wurden in den letzten Jahrzehnten großartige Erfolge bei der Umsetzung der UN Millennium Development Goals erzielt und die Mütter- und Kindersterblichkeit deutlich reduziert. 3

Der nächste Patient ist mir noch von der ersten Woche bekannt. Es ist unser Ersatzfahrer (etwas 60 Jahre), der in der vergangenen Woche (wegen der Feiertage) unseren Einsatzwagen gesteuert hatte. Ein positiver Urinbefund ließ mich damals die Diagnose eines Harnwegsinfektes stellen. Eine antibiotische und schmerzlindernde Therapie wurde mit Ihm besprochen. Die Schmerzen sind in der aktuellen Woche auch gut rückläufig, jedoch beschreibt er weiterhin das brennende Gefühl beim Wasserlassen. Zudem fällt eine Lymphknotenschwellung auf und er berichtet über gelegentlichen Ausfluss aus der Harnröhre. Anschließend passiert etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Er offenbart uns, dass er vor ca. vier Wochen bei einer Prostituierten war und seit zwei Wochen die Symptome immer intensiver wurden. Wir schicken ihn zu einem Labor und testen auf Syphilis. In der Zwischenzeit bekommt er eine standardisierte Antibiotikatherapie, die bei vielen sexuell übertragbaren Erkrankungen Wirkung zeigen sollte.

Der nächste Tag startet mit einem vollen Wartezimmer. An diesem Ort haben wir bereits seit längerer Zeit eine feste Sprechstunde etabliert. Es gibt dementsprechend auch viele chronisch kranke Patienten, die nur wegen ihrer Dauermedikation kommen. Westliche Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck sind die Klassiker. Zwischenzeitlich gibt es auch interessante Fälle wie ein Kleinkind mit stark ausgeprägter oraler Candida-Infektion (Pilzerkrankung). Dann stellt sich eine Patientin mit anhaltendem Tremor (Zittern) der Hände vor. Eine Vorgängerin vermutete hier eine Parkinson-Erkrankung. Sie war bereits beim lokalen Neurologen vorstellig. Die empfohlene Dauermedikation haben wir hier leider immer noch nicht in unserem Repertoire. Eine Medikation erscheint auch nicht sinnvoll, denn sobald die Medikamente nicht regelmäßig bezogen werden können, sollte die Medikamenteneinnahme nicht abrupt beendet werden, denn viele Medikamente müssen behutsam auf- und abdosiert werden. Sobald diese Möglichkeit nur unzureichend gegeben ist, sollte man eher auf Grund der zu erwartenden Nebenwirkungen auf einen Therapieversuch verzichten. Diese Entscheidung zu treffen, fällt nicht leicht.

Am Nachmittag kommt der ältere Patient der vergangenen Woche mit seinem Abszess zur Verlaufskontrolle. Die Schwellung ist tatsächlich rückläufig. Nur hat er jetzt schon seit einigen Tagen Ausfluss aus seinem rechten Ohr. Ich stelle eine Entzündung des äußeren Gehörgangs (Otits externa) fest und verschreibe Ohrentropfen. Wenig später kommt eine ältere Dame die angibt, seit längerer Zeit zur Abtötung von potentiellen Würmern regelmäßig einen Schluck Kerosin zu trinken. Verdutzt frage ich nach der korrekten Übersetzung aber mein Übersetzer schmunzelt nur und wiederholt die Aussage. Wir verschreiben ihr vorsichtshalber ein herkömmliches Entwurmungsmittel und geben den Rat die Einnahme von Kerosin lieber einzustellen. Alternativ sollte sie anschließend lieber keine Zigarette rauchen. 😉

Eine Frau berichtet am nächsten Tag von merkwürdigen Veränderungen ihrer Finger- und Zehennägel. Seit längerer Zeit verfärben sich diese an ein einigen Stellen dunkelgrün und sie werden stark porös, bis sie die krankhaften Regionen schlussendlich abschneidet. Das führt neben dem kosmetischen Manko ebenfalls zu Schmerzen und die offenen Wunden sind Eintrittsstellen für weitere Krankheitserreger. Da ich auch nicht mehr weiter weiß, kontaktiere ich unseren Dermatologen in Deutschland. Am Folgetag kommt bereits eine rasche und ausführliche Antwort. Der erfahrene Kollege vermutet den Befall mit einem speziell feuchtigkeitsliebenden Bakterium (Pseudomonas aeruginosa), welches durch den häufigen Kontakt zu Wasser unter den Nägeln Kolonien gebildet hat. Ich werde in der kommenden Woche mit der Patientin die vorgeschlagenen Therapiehinweise besprechen. Eine ältere Dame fängt nach der Begrüßung sofort an zu weinen. Ich erfahre, dass sie vier Söhne hat, die sich jedoch nicht um sie kümmern und sie aktuell bei Bekannten in der Gegend unterkommen kann. Ihr Alter führt dazu, dass sie nicht mehr arbeiten und somit kein Einkommen mehr generieren kann. Wir versuchen ihr gut zuzureden. Ändern können wir nichts. Die verschriebenen Multivitamin- und Eisenpräparate werden gegen den Hunger und den Schmerz nicht weiterhelfen. Zum Abschied streichelt sie meinen Kopf und sie bedankt sich ausführlich. Unter Tränen verlässt sie unsere Sprechstunde.

Am Mittwochmorgen ist leider unser Fahrer akut erkrankt. Kein weiteres Teammitglied ist in der Lage, den Wagen zu fahren. Ein Führerschein ist keine Selbstverständlichkeit. Das Team ist zur Improvisation gezwungen. In einer Krisensitzung wird der Plan gefasst, heute per Rikscha zum Einsatzort zu fahren. Mit Tempo geht es durch die verwinkelten Gassen von Dhaka, wo gerade das Leben erwacht. Als wir ankommen, warten bereits wieder viele Patienten auf uns. An diesem Tag sehe ich einen Säugling, der mich ganz apathisch anguckt. Eine anhaltende Magen-Darm-Infektion kann, verbunden mit den hiesigen Temperaturen, rasch eine starke Dehydratation (Wassermangel) auslösen. Die Augen des Kindes sind eingefallen, die Lippen trocken und es ist sehr schwach. Ich beschließe, das Kind ins örtliche Krankenhaus einzuweisen. Leider ist durch unseren Krankheitsfall eine Verlegung mit unserem Fahrer nicht möglich. Wir reden lange und intensiv mit der Mutter, die sich daraufhin auf den Weg in die Rettungsstelle macht. Am Nachmittag stellen sich die Zwillinge Rony und Jony vor. Sie haben eine besondere Geschichte. Da sie nach ihrer Geburt sehr untergewichtig waren, wurden sie auf die damalige Fütterungsstation unseres Projekts aufgenommen. Durch die intensive Zuwendung des Teams haben sie sich hervorragend entwickelt. Nun kommen sie beide mit unsäglichem Juckreiz am gesamten Körper. Ein mittlerweile geschulter Blick und die Diagnose ist rasch gestellt. Es handelt sich bei den Zwillingen um eine Infektion mit der Krätzmilbe. Neben der medikamentösen Therapie müssen viele Hygienehinweise umgesetzt und die gesamte Familie mitbehandelt werden. Bei einem Misserfolg droht eine Reinfektion und die Therapie muss von vorn begonnen werden.

Die Woche ist dem Übergang gewidmet. Viele Leute kehren von ihren Familien auf dem Land nach Dhaka zurück. In der Stadt herrscht geschäftiges Treiben. Im Gleichschritt nimmt das Verkehrsaufkommen ebenfalls deutlich zu und wir benötigen mehr Zeit, um uns jeden Morgen und Nachmittag den Weg durch die Stadt zu bahnen. Der Regen nimmt ebenfalls an Fahrt auf und es gibt Tage, an denen es durchgehend regnet. Ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen …

Erster Wochenbericht

Der erste Arbeitstag startet mit einem vertrauten Patientenklientel, einem Kind. Es wiegt mit 18 Monaten nur 7500g. In Gedanken fülle ich bereits die Einweisung ins örtliche Krankenhaus aus, jedoch befindet sich der mittlere Armumfang (MUAC) noch im „gelben“ Bereich. Bei der Anamnese stellen wir fest, dass die Mutter weiterhin nur Brei und Muttermilch, ohne feste Nahrung verabreicht. Wir geben ausdrückliche Ernährungshinweise und verabreden uns mit Nachdruck für die nächste Woche zur erneuten Gewichtsmessung. Wir sind gespannt, ob wir den Jungen wiedersehen. Anschließend entschließen sich die örtlichen Polizisten reihenweise, uns ihre Krankengeschichten zu erzählen. Es handelt sich häufig um Bauchschmerzen, die wir auf eine Gastritis zurückführen. Dann bleibt die Ambulanz leer. Auf Grund der Feiertage ist das Patientenaufkommen sehr beschränkt.

Wir essen Mittag und fahren anschließend zur nächsten Sprechstunde. Hier springt einem erneut das Müllproblem ins Auge, denn die Zufahrtsstraße wird ebenfalls als Müllhalde benutzt. Die Patientenzahl ist auch hier ernüchternd. Nach kurzem Warten meldet sich die erste Patientin doch an. Wir entschließen uns kurzerhand für einen Spaziergang durch das Viertel, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Zuschauer lassen nicht lange auf sich warten und eine Traube von Schaulustigen begleitet uns. Wir kehren zu einem vollen Wartezimmer zurück. Ich sehe einen Patienten mit einem großen Abszess am Fuß. Der Patient weigert sich entschieden, dass ich den Abszess mit einem Skalpell spalte und so drücke ich beim Säubern „versehentlich“ das ein oder andere Mal sehr stark. Es entleert sich reichlich Eiter. Der Patient muss nun mit seiner provisorischen Entleerung und einem Antibiotikum leben. Ich hoffe für ihn, dass sich die Entzündung nicht weiter ausdehnt.

Der nächste Patient ist sehr krank. Er wiegt nur noch 35kg und er erzählt mir, dass er bis vor einem Monat Medikamente zur Tuberkulose-Behandlung einnehmen musste. Hier stoßen wir leider an unsere medizinischen Grenzen. Wir füllen eine Einweisung in das lokale Krankenhaus aus, wo Tuberkulose-Patienten kostenlos therapiert werden können.

Im Anschluss daran steht plötzlich ein Reporterteam in unserer Ambulanz! Nach ein paar Worten mit unseren Übersetzern führen wir plötzlich ein Fernsehinterview. Wer wir sind und welcher Organisation wir angehören möchte der Reporter wissen. Am Ende fragt er noch, ob wir auch Straßenkinder behandeln und dann ist das Interview vorbei. So endet der erste Tag. Wieso wir erst keine Patienten hatten und im Anschluss ein TV-Team in unserer Ambulanz stand, lässt mich verwundert auf den Tag zurückblicken.

Am zweiten Tag fahren wir wieder in eine andere Region Dhakas. In einem Schuppen eines Rikscha-Parkplatzes werden wir heute Patienten behandeln. Zum ersten Mal gibt es langanhaltenden Regen, der anscheinend auch unsere Patienten von einem frühen Besuch bei uns abhält. Nach dem Regen klettern anschließend die Patientenzahlen. Aufgrund der schweren Arbeit kommen viele Menschen mit Schmerzen, Schwäche und Schwindel zu uns. Zudem sehe ich mehrere Kinder mit Vitaminmangelerscheinungen und Scabies-Erkrankungen (Krätze).

Am nächsten Tag warten zum ersten Mal Patienten auf unsere Ankunft. Eine der Schwestern gibt vor dem Start eine Unterrichtseinheit für die wartenden Patienten. Dabei geht es heute um das wichtige Thema Impfungen. Anschließend beginnen wir unsere Arbeit. Neben chronischen Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Diabetes sehe ich auch viele Kinder und Erwachsene mit Pilzerkrankungen, die auf schlechte hygienische Bedingungen in der tropischen Region hinweisen (Tinea corporis, Pityriasis vesikulosa).

Am Nachmittag bieten wir eine Sprechstunde in unserem Wohngebäude an. Auch hier sind wieder jede Menge Patienten, die auf eine ärztliche Konsultation warten. Mein Highlight ist ein sieben Monate alter Säugling, der vor 5 Tagen !!! vom Bett gefallen ist. Seine Kopfform erinnert seitdem mehr an einen eingedrückten Tischtennisball. Neurologisch ist der Kleine jedoch wohlauf und er scheint unbeeindruckt. Ich führe eine Ultraschalluntersuchung seines Schädels durch, um eine Hirnblutung auszuschließen. Auch hier sehe ich keine Anzeichen für innere Verletzungen, sodass das Kind wohl ohne Schaden davongekommen ist.

Am Nachmittag entschließen Johanna und ich uns, die Gegend zu Fuß zu erkunden. Nach ein paar Schritten auf der Hauptstraße werden wir von einer Schar Kinder begleitet, die sich im Englisch-Sprechen üben. Mit unseren einfachen bengalischen Floskeln rufen wir viel Heiterkeit und Gelächter hervor. Die Leute sind allesamt sehr freundlich und immer wieder finden sich englischsprachige Bengalen, die einem etwas erklären wollen. Unsere Tour endet am Ende eines Flusses, wo sich ein riesiger Müllberg auftürmt und uns der Gestank zum Umkehren überredet. Unsicher haben wir uns hier zu keiner Zeit gefühlt.

Die Woche endet mit einer Sprechstunde in einer sehr armen Slumregion. Hier wohnen die Menschen sehr nah an den örtlichen Bahnschienen. Immer wieder donnern große Reisezüge an uns vorbei, während wir die Region besichtigen, um unser Projekt bekannter zu machen. Ich behandle eine Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist. Außer der Gabe von Schmerzmitteln und dem Rat, sich an örtliche Behörden oder Hilfsorganisationen zu wenden, können wir leider nichts für sie tun.

Damit ist die erste Woche im Dienste der German Doctors geschafft. Exotische aber auch vertraute Erkrankungen konnte ich in dieser Zeit behandeln. Am Wochenende verlassen wir Dhaka, um in die Region Sylhet zu reisen. Die Erlebnisse dort reichen für ein eigenes komplettes Kapitel. So endet die Woche, wie sie begann, mit einem Kopf voller Gedanken.