Dhaka – Eine Stadt im Wandel
Viel gibt es über diese Stadt im Herzen Bangladeschs zu berichten. Die Unterschiede zu einem Leben in Deutschland sind unvorstellbar. Da ist zum einen das riesige Müllproblem. Der Gestank ist omnipräsent und mit jedem Atemzug bahnen sich der Gestank von vergorenen Lebensmitteln, toten Tieren und Exkrementen den Weg in unsere Lungen. Der Verkehr verschmilzt zu einem ungeordneten riesigen Stau-Ungeheuer. Es gibt keine klaren Verkehrsregeln, die das Vorankommen bei uns so effektiv und sicher gestaltet. Überholen ist unter dauerhafter hupender Ankündigung jederzeit und von jeder Richtung möglich. Man wird an das einfache Gesetz des Stärkeren erinnert, wenn man mit seinem Minivan den großen LKWs und Bussen ausweichen muss, Rikschas und CNGs (größere motorisierte dreirädrige Fahrzeuge) aber gleichzeitig gegen uns zurückziehen müssen. Der Verkehr führt zu einem hohen Schadstoff- und Lärmlevel. Er fordert jährlich unzählige unnötige Unfall- und Todesopfer. Die Fehlende Kanalisation verwandelt in der Regenzeit viele Straßen zu Flüssen. Das Wasser nimmt den Müll auf und trägt ihn in die Häuser der armen Bevölkerung.
Die Religion hat einen sehr hohen Stellenwert im täglichen Leben. Mit dem Sonnenaufgang (ca. vier Uhr) ruft der Muezzin zum ersten Gebet des Tages. Insgesamt beten Muslime fünf mal täglich. Die Familie ist das wichtigste Element der Gemeinschaft. Im täglichen Leben haben Freizeitgestaltung, Kultur und Sport eine untergeordnete Rolle. Es wird sehr oft den ganzen Tag über (teilweise in mehreren Jobs) gearbeitet. Dabei sind die Arbeitsherausforderungen nicht mit unserer komplexen Arbeitswelt vergleichbar. Das Frauenbild ist um ganze Entwicklungsepochen hinter dem in Europa zurück. Nur wenige Frauen gehen arbeiten. Zum großen Teil obliegt ihnen die Versorgung der Kinder und der Haushalt.
Und doch sieht man an jeder Ecke die tägliche Entwicklung dieser riesigen Metropole aufblitzen. Gigantische Müllberge verschwinden innerhalb von Wochen, Flüsse werden ausgebaggert, Abflussrinnen werden neben den Straßen ausgehoben und überall entstehen neue Häuser. Regiert wird das Land aktuell von einer Frau. Scheich Hasina Wajed ist die Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman. Mit stetigem hohem Wirtschaftswachstum kommt gleichzeitig die Chance auf eine konstante Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Etablierung einer Grundbildung, die Bekämpfung von Korruption, Vetternwirtschaft und Veruntreuung sowie die Stabilisierung der Wahl- und Pressefreiheit sind die Herausforderungen der Zukunft. So wird jede Generation in einem neuen Bangladesch leben.
Die medizinische Arbeit als German Doctor
Die German Doctors haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Ärmsten der Armen zu helfen. Dabei ist die Arbeit basismedizinisch und damit ähnlich zu den Arbeiten eines Hausarztes zu verstehen. Dementsprechend sah ich in meinem Einsatz viele Patienten mit Schmerzen jeglicher Art sowie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen. Auch chronische Erkrankungen wie Diabetes, COPD und Bluthochdruck werden von uns regelmäßig behandelt. Die Schulung der Patienten zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme stellt sich nicht nur in Bangladesch als Herausforderung dar. Hinzu kamen einige Besonderheiten, die durch die Armut und die Lebensbedingungen unserer Patienten zu erklären sind. Hier sind besonders unzählige Hauterkrankungen, wie Krätzmilben, Pilze und Wundentzündungen zu nennen. Darüber hinaus ist die Tuberkulose (siehe Woche eins, drei, vier, fünf) eine wichtige Differenzialdiagnose, die bei jedem Husten und Patient mit unerklärlichem Gewichtsverlust beachtet werden muss. Durch das scharfe Essen und eine häufige Besiedlung mit einem Magenkeim, der nur schwer zu behandeln ist, gibt es hier auch viele Menschen, die an häufigen Magenschmerzen leiden.
Ein wichtiger Unterschied in der Behandlung der Patienten spielt das hiesige Gesundheitssystem. Es gibt für viele Erkrankungen schlichtweg nur inadäquate Therapieoptionen (z.B. Rheumatisches Fieber, Morbus Parkinson, Tumorleiden). Hinzu kommt das Problem, dass es keine Krankenversicherung gibt. Dies schließt von Vornherein eine gezielte Diagnostik und Behandlung aus. Oft haben wir uns auch über eine unnötige Diagnostik und das Verschreiben von Medikamenten gewundert. Viele Patienten gehen vor dem Arztbesuch auch zuerst in eine Apotheke, wo sie ohne Rezept frei verkäuflich Antibiotika, Antidepressiva, Schmerzmittel und sogar Insulin beziehen können.
Persönliche Grenzen
Neben den medizinischen Grenzen werden einem im Einsatz auch gelegentlich die eigenen körperliche Grenzen aufgezeigt. Zur Regenzeit ist es drückend heiß mit täglichen Temperaturen von 30-40°C. Hinzu kommt der andauernde Regen, der für eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit verantwortlich ist. Schlafen ist nur mit einem laut summenden Ventilator erträglich, der gleichzeitig versucht, den andauernden Straßenlärm zu übertrumpfen. Bei häufigen Stromausfällen fällt der Ventilator jedoch ständig aus. Zu Allem, wozu man dann in der Lage ist, ist nur noch schwitzen. Schwitzen am Tag, schwitzen in der Nacht.
Für die Nahrungsaufnahme gibt es vor Ort eine einfache Regel: „cook it, boil it, peal it, or leave it“ – „koch es, siede es, pell es oder lass es sein. Und auch wenn ich während meiner vorherigen Reisen in ähnliche Regionen bereits gut mit dieser Regel zurecht kam, ereilte mich in Bangladesch doch zweimalig eine Reisedurchfallerkrankung. Das Problem, das sich mir in dieser Situation stellte, war nicht primär die Erkrankung, sondern eine anschließende adäquate Ernährung zur Genesung. Reis und Gemüse sind als Schonkost geeignet. Große Energielieferanten sind sie nicht.
Die tägliche Arbeit mit den Patienten macht sehr viel Spaß und ohne lästige Überdokumentation kann man in unserem Projekt gut klinisch arbeiten. Ernüchternd ist die Behandlung von komplexen Krankheitsbildern. Man trifft immer wieder auf Patienten, die auch hier einer guten Behandlung zugeführt werden könnten und bei denen es die Chance zur echten Lebensverbesserung geben könnte. Dann füllt man häufig eine Krankenhauseinweisung aus. Unserem Rat folgen die Patienten dann nur selten. Selbst bei kostenloser Behandlung (z.B. Einweisung bei Unterernährung) wird diese oft abgebrochen. Dabei sind eine fehlende Gesundheitsbildung sowie ein Mangel an Geld und Begleitpersonen (die Patienten werden teilweise von Angehörigen im Krankenhaus versorgt) zwar nachvollziehbare Gründe, wenn eine Familie eine lebenswichtige Behandlung für ihr Kind abbricht, dann empfindet man trotz alledem ein Frustgefühl.
Mein Dank für eine lehrreiche, glückliche, traurige, spannende, lustige, frustrierende, intensive, anstrengende, hoffnungsvolle und spannende Zeit in Bangladesch gilt unserem Medical Team vor Ort sowie allen Menschen, die dieses Projekt mit Ihrer Arbeit und Ihren Spenden nachhaltig unterstützen.
Vielen Dank !!!
Chapeau! Jan