Dritter Wochenbericht

Die Woche beginnt mit vielen neuen Gesichtern. Meine Kollegin Johanna hat ihren 6-wöchigen Einsatz beendet und nach zwei intensiven Wochen danke ich ihr besonders für die tolle Einarbeitung und die bereichernden Gespräche und Erlebnisse auch abseits der Arbeit. Meine neue Kollegin Blerina übernimmt nun ihren Staffelstab. In dieser Woche besuchen uns ebenfalls die ärztliche Leiterin der German Doctors und die Projektkoordinatorin für unsere Region. Ich freue mich in der Folge über einen regen Gedankenaustausch und Diskussionen zu unserer Rolle im Gesundheitssystem (Gedanken über die Arbeit in medizinischen Entwicklungsprojekten) und der zukünftige Ausrichtung der German Doctors.

An unserem ersten Arbeitstag sehe ich ein 22 Monate altes Kind, das in unsere Ambulanz getragen wird. Hier gibt es keinen Zweifel: Es muss rasch gehandelt werden, denn das kleine Mädchen sieht schon aus der Ferne sehr krank aus. Ich signalisiere meinem Übersetzer dringend diese Patientin vorzuziehen und wenig später sitzt sie vor mir. Die Augen sind stark eingefallen. Ein kleines und scheues Gerippe sitzt auf dem Arm der Mutter. Unsere Waage zeigt 5kg! Ohne Zweifel ist sie das unterernährteste Kind, das ich je gesehen habe (vielleicht sehen werde). Wir organisieren einen raschen Transport mit einem Projektmitarbeiter und dem Fahrer in ein spezialisiertes Krankenhaus für unterernährte Kinder. Bei Einweisungen dieser Art werden die German Doctors für die Behandlung des Kindes bezahlen.

An diesem Tag stellen sich ebenfalls drei schwangere Frauen vor und wir üben uns erneut in pränataler Diagnostik. Zudem geben wir Hinweise zur Schwangerschaftsvorsorge, Impfungen und einer gesunden Ernährung. Aufgrund des geringen Fleisch- und Milchkonsums unserer Patienten werden wichtige Spurenelemente, wie Eisen und Calcium hier nur in unzureichenden Mengen aufgenommen. Viele Menschen (besonders Frauen und Kinder) leiden in der Folge an einer Eisenmangelanämie (Blutarmut). Durch die dauerhafte Blutarmut ist das Entwicklungspotential der Kinder und die Widerstandsfähigkeit bei Erkrankungen deutlich reduziert. Das Verschreiben von Eisenpräparaten gehört daher in unserer Sprechstunde zur täglichen Routine. Am Ende des Tages stellt sich noch eine Frau mit Schwäche, Kopfschmerzen und Schwindel vor. Diese unspezifischen Symptome begegnen einem sehr häufig. Schon oft habe ich dabei an eine mögliche Schwangerschaft gedacht. Heute liege ich damit zum ersten mal richtig und so überführe ich die vierte schwangere Frau in unserer heutigen Ambulanz. Leider kann die Dame meine Begeisterung über die zwei kleinen roten Striche nicht ganz teilen. Vielleicht war die Familienplanung nach drei Kindern bereits abgeschlossen?

Leider limitiert mich anschließend eine Reisedurchfallerkrankung, sodass ich zwei Tage aussetzen muss. Bei ausbleibender Besserung entschließe ich mich dann doch ein Antibiotikum zu nehmen und dieses bringt zum Glück die erhoffte Wende. Zuvor hatte ich im Ausland noch nie über Magen-Darm-Probleme geklagt. Der Aufenthalt in Bangladesch zeigt sich, besonders körperlich, als sehr herausfordernd. Auch eine einfache Hühner-Nudel-Suppe als Heilnahrung vermisse ich schmerzlich. Stattdessen bereitet mir unsere besorgte Köchin eine gesalzene Reissuppe zu. Auch die anderen Teammitglieder beteuern, dass dies die beste Nahrung ist, um wieder zu Kräften zu kommen. Nun ja, nach drei Löffeln bin ich anderer Meinung…. Es fällt mir nun leichter nachzuvollziehen, wie schnell Durchfall und Fiebererkrankungen zu ernsthaften Bedrohungen werden können. Besonders das heiße, stickige und drückende Klima ist dann ein Komplikationsmultiplikator.

Erneut auf den Beinen geht es am Mittwoch wieder in unseren langen Arbeitstag, an dem wir oft viele Patienten behandeln. An dem Tag werde ich erneut drei mangelernährte Kinder sehen. Bei einem Geschwisterpaar bestehen zudem Hinweise auf eine Tuberkuloseerkrankung. Beide sind stark untergewichtig, sie husten und ihre Großmutter ist an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung verstorben. Auch hier gibt es keine andere Wahl und die beiden Kinder müssen rasch an ein Tuberkulose-Krankenhaus vermittelt werden. Die Diagnostik und die Behandlung ist mittlerweile kostenlos für alle Einwohner verfügbar. Alle Patienten, die länger als zwei Wochen husten, sollen einer Diagnostik zugeführt werden. Nur so lässt sich diese Geißel der Armut effektiv bekämpfen. Es existieren heutzutage sehr gute Behandlungsoptionen, die bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme gute Überlebenschancen bieten.

Des Weiteren sehe ich an diesem Tag noch zwei sehr kranke Patientinnen. Die erste ist 43 Jahre alt und leidet an einer in Deutschland sehr seltenen Erkrankung: dem rheumatischen Fieber. Bei dieser Erkrankung kommt es nach einer (manchmal unbemerkten) bakteriellen Infektion der Mandeln oder der oberen Luftwege, zu einer Wochen später auftretenden immunologischen Reaktion. Hierbei greifen fehlgeleitete weiße Blutkörperchen körpereigene Zellen an. Eine Mitbeteiligung des Herzens ist eine schwere Komplikation und so ist das rheumatische Fieber weiterhin für einen Großteil von zerstörten Herzklappen weltweit verantwortlich. Diagnostiziert wurde die Erkrankung von einheimischen Ärzten in einem spezialisiertem Herz-Krankenhaus. Beim Abhören poltert das Herz nur sehr unruhig in der Brust der Patientin. Die Herzfrequenz ist erhöht. Medikamentös können wir die Symptome etwas lindern. Ohne eine Herzklappenoperation wird sie aber leider wahrscheinlich das 50. Lebensjahr nicht erreichen.

Die zweite Patientin leidet unter Fieberschüben, Bauchschmerzen und merkwürdigen Wasseransammlungen in den Beinen (Ödeme). Mit ihren 23 Jahren ist sie noch recht jung für diesen Symptomkomplex. Mir wird ein Arztbrief aus einem Krankenhaus überreicht. Dort stehen, angesichts des Alters der Patientin, beeindruckend schlechte Nierenwerte, die sich im Bereich der Dialysepflichtigkeit befinden. Anscheinend hat aber niemand eine rettende antibiotische Therapie begonnen, denn die Patientin wurde mit dem Hinweis, sie solle sich beim Nierenspezialisten vorstellen, wieder entlassen. Drei Tage später stellt sie sich bei uns vor. Mir bleibt nichts anderes übrig, als auch sie schnellstmöglich ins Krankenhaus einzuweisen, um mit der Therapie zu beginnen. Ich hoffe, dass sich ihre Nieren bei diesem erheblichen Schaden noch erholen werden. Andererseits droht eine Dialyse und die Notwendigkeit eine Organtransplantation.

Neben der täglichen Routine waren in dieser Woche mehrere schwer kranke Patienten in unseren Ambulanzen. Wir haben einige Krankenhauseinweisungen ausgefüllt und ein unterernährtes Kind persönlich eskortierten lassen. Die Übersetzer versichern uns eindrücklich, wie gut die Patienten den Ernst der Lage verstanden haben. Die Erfahrung lehrt uns jedoch auch, dass wir diese Patienten nicht selten ohne Behandlung in der folgenden Woche wieder sehen. Sei es durch eine abgelehnte Behandlung seitens des Krankenhauses, mangelnde Einsicht des Patienten oder finanzielle Einbußen durch fehlende Arbeitszeiten. Man ertappt sich dann gelegentlich in Gedanken an unser unfassbar gutes Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland.

Zweiter Wochenbericht

Unsere Woche beginnt, nicht wie gewohnt am Montag, sondern am Sonntag. Im muslimisch geprägten Bangladesch ist der Freitag entsprechend dem christlichen Sonntag Ruhe- und Bettag.

Als einer der ersten Patienten stellt sich eine hochschwangere Frau mit Unwohlsein und Schwindel vor. Hier sind besonders Infektionen und Gestosen (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftungen) wichtige Differenzialdiagnosen, die es zu beachten gibt. Der Blutdruck liegt im grünen Bereich. Ein positiver Urinbefund bringt die entscheidenden Hinweise: Die Dame hat einen Harnwegsinfekt. Ich versuche mich als nebenberuflicher Geburtshelfer und halte den Schallkopf auf den prallen Bauch. Das Baby ist nicht zu übersehen. Die Mutti strahlt, als sie ihr Kind auf dem kleinen mobilen Ultraschallmonitor sieht. Ich empfinde den Herzschlag als regelmäßig und somit attestiere ich keinen kindlichen Stress. Auch die Fruchtwassermengen sehen adäquat aus. Bei der Darstellung des Geschlechts scheitere ich jedoch. Es wird eine Überraschung bleiben. Trotz Überredungsversuchen wird sie ihr Kind (so, wie bereits die ersten drei) ebenfalls zu Hause gebären. Auch wenn die Muttersterblichkeitsrate von Bangladesch mit 176 Todesfällen auf 100.000 Geburten 1 hoch erscheint (Vergleich Deutschland 6/100.000 Geburten, Daten von 2015 2), so wurden in den letzten Jahrzehnten großartige Erfolge bei der Umsetzung der UN Millennium Development Goals erzielt und die Mütter- und Kindersterblichkeit deutlich reduziert. 3

Der nächste Patient ist mir noch von der ersten Woche bekannt. Es ist unser Ersatzfahrer (etwas 60 Jahre), der in der vergangenen Woche (wegen der Feiertage) unseren Einsatzwagen gesteuert hatte. Ein positiver Urinbefund ließ mich damals die Diagnose eines Harnwegsinfektes stellen. Eine antibiotische und schmerzlindernde Therapie wurde mit Ihm besprochen. Die Schmerzen sind in der aktuellen Woche auch gut rückläufig, jedoch beschreibt er weiterhin das brennende Gefühl beim Wasserlassen. Zudem fällt eine Lymphknotenschwellung auf und er berichtet über gelegentlichen Ausfluss aus der Harnröhre. Anschließend passiert etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Er offenbart uns, dass er vor ca. vier Wochen bei einer Prostituierten war und seit zwei Wochen die Symptome immer intensiver wurden. Wir schicken ihn zu einem Labor und testen auf Syphilis. In der Zwischenzeit bekommt er eine standardisierte Antibiotikatherapie, die bei vielen sexuell übertragbaren Erkrankungen Wirkung zeigen sollte.

Der nächste Tag startet mit einem vollen Wartezimmer. An diesem Ort haben wir bereits seit längerer Zeit eine feste Sprechstunde etabliert. Es gibt dementsprechend auch viele chronisch kranke Patienten, die nur wegen ihrer Dauermedikation kommen. Westliche Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck sind die Klassiker. Zwischenzeitlich gibt es auch interessante Fälle wie ein Kleinkind mit stark ausgeprägter oraler Candida-Infektion (Pilzerkrankung). Dann stellt sich eine Patientin mit anhaltendem Tremor (Zittern) der Hände vor. Eine Vorgängerin vermutete hier eine Parkinson-Erkrankung. Sie war bereits beim lokalen Neurologen vorstellig. Die empfohlene Dauermedikation haben wir hier leider immer noch nicht in unserem Repertoire. Eine Medikation erscheint auch nicht sinnvoll, denn sobald die Medikamente nicht regelmäßig bezogen werden können, sollte die Medikamenteneinnahme nicht abrupt beendet werden, denn viele Medikamente müssen behutsam auf- und abdosiert werden. Sobald diese Möglichkeit nur unzureichend gegeben ist, sollte man eher auf Grund der zu erwartenden Nebenwirkungen auf einen Therapieversuch verzichten. Diese Entscheidung zu treffen, fällt nicht leicht.

Am Nachmittag kommt der ältere Patient der vergangenen Woche mit seinem Abszess zur Verlaufskontrolle. Die Schwellung ist tatsächlich rückläufig. Nur hat er jetzt schon seit einigen Tagen Ausfluss aus seinem rechten Ohr. Ich stelle eine Entzündung des äußeren Gehörgangs (Otits externa) fest und verschreibe Ohrentropfen. Wenig später kommt eine ältere Dame die angibt, seit längerer Zeit zur Abtötung von potentiellen Würmern regelmäßig einen Schluck Kerosin zu trinken. Verdutzt frage ich nach der korrekten Übersetzung aber mein Übersetzer schmunzelt nur und wiederholt die Aussage. Wir verschreiben ihr vorsichtshalber ein herkömmliches Entwurmungsmittel und geben den Rat die Einnahme von Kerosin lieber einzustellen. Alternativ sollte sie anschließend lieber keine Zigarette rauchen. 😉

Eine Frau berichtet am nächsten Tag von merkwürdigen Veränderungen ihrer Finger- und Zehennägel. Seit längerer Zeit verfärben sich diese an ein einigen Stellen dunkelgrün und sie werden stark porös, bis sie die krankhaften Regionen schlussendlich abschneidet. Das führt neben dem kosmetischen Manko ebenfalls zu Schmerzen und die offenen Wunden sind Eintrittsstellen für weitere Krankheitserreger. Da ich auch nicht mehr weiter weiß, kontaktiere ich unseren Dermatologen in Deutschland. Am Folgetag kommt bereits eine rasche und ausführliche Antwort. Der erfahrene Kollege vermutet den Befall mit einem speziell feuchtigkeitsliebenden Bakterium (Pseudomonas aeruginosa), welches durch den häufigen Kontakt zu Wasser unter den Nägeln Kolonien gebildet hat. Ich werde in der kommenden Woche mit der Patientin die vorgeschlagenen Therapiehinweise besprechen. Eine ältere Dame fängt nach der Begrüßung sofort an zu weinen. Ich erfahre, dass sie vier Söhne hat, die sich jedoch nicht um sie kümmern und sie aktuell bei Bekannten in der Gegend unterkommen kann. Ihr Alter führt dazu, dass sie nicht mehr arbeiten und somit kein Einkommen mehr generieren kann. Wir versuchen ihr gut zuzureden. Ändern können wir nichts. Die verschriebenen Multivitamin- und Eisenpräparate werden gegen den Hunger und den Schmerz nicht weiterhelfen. Zum Abschied streichelt sie meinen Kopf und sie bedankt sich ausführlich. Unter Tränen verlässt sie unsere Sprechstunde.

Am Mittwochmorgen ist leider unser Fahrer akut erkrankt. Kein weiteres Teammitglied ist in der Lage, den Wagen zu fahren. Ein Führerschein ist keine Selbstverständlichkeit. Das Team ist zur Improvisation gezwungen. In einer Krisensitzung wird der Plan gefasst, heute per Rikscha zum Einsatzort zu fahren. Mit Tempo geht es durch die verwinkelten Gassen von Dhaka, wo gerade das Leben erwacht. Als wir ankommen, warten bereits wieder viele Patienten auf uns. An diesem Tag sehe ich einen Säugling, der mich ganz apathisch anguckt. Eine anhaltende Magen-Darm-Infektion kann, verbunden mit den hiesigen Temperaturen, rasch eine starke Dehydratation (Wassermangel) auslösen. Die Augen des Kindes sind eingefallen, die Lippen trocken und es ist sehr schwach. Ich beschließe, das Kind ins örtliche Krankenhaus einzuweisen. Leider ist durch unseren Krankheitsfall eine Verlegung mit unserem Fahrer nicht möglich. Wir reden lange und intensiv mit der Mutter, die sich daraufhin auf den Weg in die Rettungsstelle macht. Am Nachmittag stellen sich die Zwillinge Rony und Jony vor. Sie haben eine besondere Geschichte. Da sie nach ihrer Geburt sehr untergewichtig waren, wurden sie auf die damalige Fütterungsstation unseres Projekts aufgenommen. Durch die intensive Zuwendung des Teams haben sie sich hervorragend entwickelt. Nun kommen sie beide mit unsäglichem Juckreiz am gesamten Körper. Ein mittlerweile geschulter Blick und die Diagnose ist rasch gestellt. Es handelt sich bei den Zwillingen um eine Infektion mit der Krätzmilbe. Neben der medikamentösen Therapie müssen viele Hygienehinweise umgesetzt und die gesamte Familie mitbehandelt werden. Bei einem Misserfolg droht eine Reinfektion und die Therapie muss von vorn begonnen werden.

Die Woche ist dem Übergang gewidmet. Viele Leute kehren von ihren Familien auf dem Land nach Dhaka zurück. In der Stadt herrscht geschäftiges Treiben. Im Gleichschritt nimmt das Verkehrsaufkommen ebenfalls deutlich zu und wir benötigen mehr Zeit, um uns jeden Morgen und Nachmittag den Weg durch die Stadt zu bahnen. Der Regen nimmt ebenfalls an Fahrt auf und es gibt Tage, an denen es durchgehend regnet. Ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen …