Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben. (Alexander von Humboldt)
Während meiner Vorbereitung habe ich verschiedene Gespräche geführt. Einige Gesprächspartner wiesen mir deutlich die Grenzen dieses Kurzeinsatzes auf. Dabei waren diese Gespräche für mich nie demotivierend – im Gegenteil: Sie halfen mir stets, mich (und die Sinnhaftigkeit des Einsatzes) zu hinterfragen.
Oftmals haben gesellschaftlich engagierte Menschen in unserer Bevölkerung den Ruf naiv und weltfremd zu sein. Nicht zuletzt hört man immer wieder das Argument, dass es in Deutschland ebenfalls genug arme Menschen gibt und dass man diesen Menschen wohl auch zuerst helfen sollte, bevor man in ein kulturell fremdes Land fährt. Hinzu kommen fehlgeleitete Weltverbesserer 1 und Freiwilligenorganisationen 2, die junge Menschen mit der richtigen Einstellung aber ohne passende Ausbildungen in ferne Länder schicken.
Der unerwartete Verlauf des vergangenen Wochenendes hatte erneut viele lehrreiche Auszüge über Entwicklungsarbeit für mich parat. Nachdem ich bereits mit verschiedenen Organisationen in Tansania und Südafrika in Kontakt getreten bin, traf ich hier eine neue Institution, die Kirche.
Um der Großstadt Dhaka zu entfliehen bereisten wir am Wochenende die Teeregion Sylhet. Etwas zufällig landeten wir dabei im Wohnsitz des hiesigen Bischofs, der uns den ehemaligen Leiter der Caritas Bangladesch zur Seite stellte, um uns die Region näher zu bringen. Er erklärte uns eindrücklich und beispielhaft, wie hier verschiedene Organisationen ( z.B. Caritas, Diakonie, Kinderhilfswerk) Bildungs- und Gesundheitsprojekte fördern, die messbare Erfolge hervorbringen. Im Gegensatz zu meinen chaotischen, unstrukturierten und ungeplanten Eindrücken des Lebens in Bangladesch werte ich die Erfolge als durchaus positiv und nachhaltig, auch wenn eine kritische Betrachtung vor dem Hintergrund der potenziellen Missionierung angebracht ist. Unsere Einladung erfolgte mit dem Ziel, die medizinische Lage der einheimischen (auch nicht christlichen) Bevölkerung in der Region zu verbessern. Wir werden gebeten, uns ein Krankenhaus anzugucken und potentielle Berührungspunkte mit unseren Projekten in Bangladesch auszuloten. Über die Ausrichtung der German Doctors haben wir natürlich keine Weisungsbefugnis. Einen Vorschlag können wir unserer ärztlichen Leitung aber in jedem Fall unterbreiten.
Medizinische Entwicklungshilfe
Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten und Ebenen der medizinischen Entwicklungshilfe. Als Arzt im Projekt der German Doctors wird der Fokus auf basismedizinische Leistungen gelegt. Ähnlich dem Hausarzt in Deutschland. Für die weiterführende Behandlung bei schwerwiegenden Erkrankungen überweisen wir an die regionalen Gesundheitseinrichtungen. Die German Doctors sind in ihren Projekten langfristig und durchgängig vor Ort. Dabei sind es häufig Einzelschicksale, die wir täglich beeinflussen können.
Einen anderen Ansatz verfolgt die sehr bekannte Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF). Hier wird besonders medizinische Hilfe in Krisenregionen (z.B. Kriege und Umweltkatastrophen) angeboten. Darüber hinaus gibt es viele lokale Kooperationen von Krankenhäusern, die für Kurzprojekte (wenige Wochen) regelmäßig in Entwicklungsländer fahren, um dort schwierige Operationen anzubieten oder moderne Behandlungsmethoden zu etablieren (z.B. Charité 3 , Kieler Ärzte für Afrika 4) und/oder die einheimische Bevölkerung zu schulen. Hinzu kommen dann die bereits angesprochenen NGOs (WHO, Unicef, Amnesty International, MSF), die von unterschiedlichen Trägern meist langfristige Entwicklungsprojekte vor Ort fördern. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht durch kleine regionale Projekte bewirken. Medizinische Verbesserungen werden sich nur durch flächendeckende Krankenversicherungen, die Ausbildung von lokalem Personal und der Schaffung von medizinischer Infrastruktur in unseren Projektländern bewirken lassen.
Ich möchte euch mit diesem Blog an der Arbeit in einem medizinischen Gesundheitsprojekt in einem der ärmsten Länder der Welt teilhaben lassen. Wenn ihr die Beiträge anregend findet, dann sprecht mit euren Freunden über eure Meinungen zu diesem Thema oder teilt die Inhalte in den sozialen Medien. Es soll hier der Versuch unternommen werden, eine Diskussion anzuregen und ein gesellschaftliches Bewusstsein zu aktivieren.
Vielen Dank für euer Interesse.
Wie interessant, deine Erfahrungen zur Arbeit kirchlicher Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit zu lesen! Vielleicht gäbe es in diesem Bereich generell (nicht nur in Bangladesch) noch stärkeres Kooperationspotenzial zwischen staatlichen- und Nichtregierungsorganisationen und kirchlichen Trägern? Dabei darf die „Problematik“ der religiösen Beeinflussung allerdings natürlich nicht trivial sein, sondern sollte reflektiert und hinterfragt werden. Ich frage mich, ob sich die höheren Ideale/Ziele dieser Institutionen auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen oder ob die eigenen Interessen dabei mehr wiegen, als gemeinsam eventuell mehr zu schaffen.
Ich verstehe die Kritik an vielen Projekte, in denen „geholfen“ werden will. Wie du schon ansprachst, werden oft junge Menschen als Repräsentanten und Aktive in die ganze Welt entsandt, wobei völlig unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen. Durch die Jugendlichen wird häufig von mangelnder Dankbarkeit seitens der einheimischen Bevölkerung in den Projekten gesprochen sowie von Ineffektivität und fehlender lokaler Unterstützung. Aber ist das so, bzw. kann das überhaupt so sein? Mit welchen Zielen REIST man in ein Land des Globalen Südens, um dort über Monate hinweg bspw. in Schulen, Krankenhäusern oder ökologischen Vorhaben mitzuwirken? Tut man es aus Altruismus, weil „Not am Mann ist“ oder eigentlich, um seinen Lebenslauf zu polieren oder seine individuelle Entwicklung zu fördern (Entwicklungshilfe?!?!)? Oder stimmt die Intention und es hapert an der Strukturierung und Umsetzung der Unterfangen? Welche Rolle spielt dann die heimatliche Organisation z.B. in Deutschland, deren Arbeit auch finanziert werden muss? Diese Fragen habe ich mir und anderen auch schon oft gestellt.
Gleichzeitig entstehen aber weitere Bredouillen in meinem Kopf: Zu Hause sitzen, durch den Fernseher die vergleichsweise „schlimmen Zustände“ in anderen Ländern beäugen und dabei ein eisgekühltes Getränk schlürfen? (Nicht, dass ich mich so noch nie selbst erwischt hätte!) Oder gar die Augen ganz vor globalen Missständen und Ungleichgewichten verschließen, bzw. auf nationale/lokale Probleme fokussieren? Das kann auch nicht die Antwort sein. Könnte Bildung vielleicht ein Schlüssel sein, in den es sich zu investieren lohnt? Sowohl in breite Grundbildung als auch spezialisiertere Tätigkeiten? Oder gäbe es evtl. andere aktive Hebelpunkte? Ggf. auch Organisationen von der Heimat aus unterstützen (Greenpeace, Sea Shepherd, NABU etc.)? Spenden?
An dieser Stelle muss wahrscheinlich jede/r für sich selbst entscheiden, worin man den größten Sinn sieht und tolerant gegenüber anderen Entscheidungen sein.